PlattenkritikenPressfrisch

FROM HARBOUR – Fatigue

~ 2018 (Independent/Toanol Records) – Stil: Metal / Core ~


Ich habe eine kleine Schwäche für Bands der modernen Schnittmenge aus Hardcore, Metal und Postrock. Dieses Quintett aus Flensburg an der dänischen Grenze gehört neben den PLANKS aus Mannheim mit ihrem ´Funeral Mouth´-Album von 2012 und den Kanadiern ALASKAN mit ihrer ´Despair, Erosion, Loss´-LP von 2014 dazu. Aufgefallen sind mir die Brüder FROM HARBOUR bei einem gemeinsamen Konzert auf einem Festival in Schleswig-Holstein, das ANCST-Shirt vom Gitarristen hat mich sofort angesprochen. Als ich dann des Auftritts der Band teilhaftig wurde, war es um mich geschehen und das Debütalbum musste unbedingt für die Heimanlage mit.

Was sich live schon erahnen ließ, wurde auf dem Plattenteller Gewissheit. Hier gibt es ein herrliches Gemenge aus Hardcoregepolter, wie es die frühen 90er hervorgebracht haben, surrende, schwebende, wellenartige Gitarrenharmonien mit melancholischem Unterton, heiseres, wütendes, vielleicht etwas verzweifeltes Brüllen, dazu kräftige Rhythmen mit wuchtigem Groove, die mal die Songs nach vorne peitschen, auf dass sie Dich wie eine Stampede zorniger Long Horn-Rinder überwalzen und mal direkt in Deine Beine fahren und Dich springen und tanzen lassen. Hymnisch wirkt die Musik zuweilen, vielerorts gibt es atmosphärische Einschübe. Einer der Seiten-Opener (A und B Seite sind nicht als solche gekennzeichnet) hat Momente mit halbverzerrten, fast schon sanften Gitarren, unter denen sich die wahnsinnige Rhythmuscrew austoben darf. Progressiv zu nennende, vertrackte Passagen finden ebenso ihren Weg in die Songs, ungerade Takte, sauber eingespielt von mehr als talentierten Musikern.

FROM HARBOUR zeigen auf, wie weit sich der neue Hardcore vom alten Crustgeschrubbe Marke DISCHARGE schon entfernt hat. Die Intensität allerdings ist geblieben. Sie sind eine moderne Band, wofür man sich als Musikfan geöffnet haben muss. Old School-Puristen werden spucken und sich vor Schmerzen winden, aber diese Band hat mich erwischt. Sie bringen äußerst viel Gefühl mit in die Stücke ein, Verzweiflung, Wut, Schmerz und doch irgendwo Hoffnung. Nach einer Weile entwickeln sich die machtvollen Groover und Brecher hier zu Ohrwürmern, bei aller ohrenscheinlichen Hektik. Die Songs sind durchdacht aufgebaut, Breakdowns und Eruptionen, rockige Momente, alles ist so arrangiert, dass die Musik wie eine emotionale Woge durch den Hörer fährt und sich seiner bemächtigt. Du tanzt vor Freude und bist sehr ausgelassen dabei, weil FROM HARBOUR Deinen Seelenschmerz aus Dir hinaustreiben. Die übrigens äußerst freundlichen Typen sind für mich die musikalische Entdeckung 2018. Nicht vom Stand der Innovationen her, weil eben PLANKS oder ALASKAN oder sogar alte AT THE GATES schon vorher dieses oder jenes Element verwendet haben. Sie berühren mich einfach und dürften unter den Fans von extremer Rockmusik mit Hang zu großer Abwechslung eine Menge Freunde finden. WITH FULL FORCE, WACKEN OPEN AIR, wo seid Ihr, wenn sich die norddeutsche Talentschmiede auftut und ein weiteres Klangkunstwerk ausspuckt?

(9 Punkte)

https://fromharbour.bandcamp.com/releases