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DIE NERVEN – Fake

2018 (Glitterhouse / Indigo) – Stil: Post-Punk / Indie


Den einen gehen sie auf die Nerven, den anderen umspielen sie die empfindlichsten Wohlfühlnervenknospen: die Stuttgarter NERVEN, ja, DIE. Die waren zuletzt so schlecht drauf, dass sie schleunigst runter kommen mussten. Trotteten flugs Richtung Toskana, um dem tristen Müßiggang abzuschwören. Nichts ist schlimmer als defekte Demokratie und Alltag. Natürlich Diktatur, schon. Ein mobiles Aufnahmestudio half dem Slogan, mit in den Alltag zu kommen, zu entsagen.

´Fake´ ist in den Schlagzeilen. Die Neuigkeiten können gar nicht so schnell in Umlauf geraten, um sie in gleichem Maße als falsch zu deklarieren. Aber die Vernunft muss endlich siegen: Max Rieger (Gesang, Gitarre), Julian Knoth (Gesang, Bass) und Kevin Kuhn (Schlagzeug) lassen sie walten, schreien allerdings unbändig ihre Anschauungen in die Welt. Hier im Sinne des Indie Rock, dort ganz eindeutig New und Dark Wave skizzierend, hier den Punk rausholend, dort die Keule des Metal schwingend. Hardcore kennt eben kein Erbarmen.

Jan Wigger feierte einst den Nachfolger des Debütwerkes als „eine der wichtigsten und besten deutschsprachigen Platten dieses Jahrzehnts“. Falls ihm 2018 ´Fake´ in die Lauscher flutschen sollte, wird er zu weit größeren Lobpreisungen ansetzen müssen. Den Schreibgriffel nimmt der gute Mann zwar seit Jahren nicht mehr in die Hand, sollte er dennoch, rein zufällig, diese Rezension vor die Augen gehalten bekommen und in naher Zukunft urplötzlich wieder Lust verspüren, seinem musikalischem Verständnis einen neuen Lauf zu verpassen, dürfte ihm bei den Gelben Seiten immer ein Plätzchen warm gehalten werden. Der Drang des Schreibens kann nicht verfliegen. Dem Drang des Musizierens können DIE jämmerlichsten NERVEN nichts anhaben.

Trübe Gedanken und dunkle Wellen können dem brodelnden Klangkörper von ´Neue Wellen´ nicht habhaft werden, denn trotz allem Geschepper „erlaubt ist was gefällt“. Zum leger eruptierenden Wohlklang schreit die Hintertruppe aus dem Anfeuerungsofen immerfort ´Niemals´. Die ganze Härte gibt ´Frei´ preis, zum pulsierenden Les Claypool-Zupfen. Geschrei zum Abschlecken. Selten klangen die Schrammel-Welten so dicht an Dirk von Lowtzow und seinem Background, der ´Dunst´ nach einem Jam-Entspannungsgelage. Später Angriff in die erdanziehungsträchtigen Teile. Da hilft selbst in ´Alles falsch´ kein Jammern und kein Klagen über die eigenen Unzulänglichkeiten. ´Der Einzige´, der weint, darf natürlich Gefühle zeigen. Nervenaufreibend, kratzbürstig in ´Skandinavisches Design´ – ohne beigefügtes Schraubzeug. Dabei ist dabei sein alles, olympischer Geist bei den terroristisch gezündeten ´Explosionen´. Saitenschwingend fragen sich nervenverzehrend die drei von der Anstalt: ´Kann’s nicht gestern sein´? Doch, ob Fälschung oder nicht, ohne auf die Felle zu schlagen, ohne auf den Nerven zu balancieren, klingelt der einzige ´Fake´ in die ur-eigenen Bahnen hinein.

(Nervenstarke 8 Punkte)