PlattenkritikenPressfrisch

JUDAS PRIEST – Firepower

~ 2018 (Columbia Records) – Stil: Heavy Metal ~


Obwohl wir vor kurzem bereits eine Kritik nach den ersten Höreindrücken vorlegen konnten, haben sich seit der Veröffentlichung weitere Redakteure ausführlich dem neuen Album von JUDAS PRIEST gewidmet, so dass Ihr Eure eigenen Eindrücke zu ´Firepower´ mit den kompakten als auch ausführlichen Meinungsäußerungen unsererseits vergleichen könnt.

Vier Jahre nach ´Redeemer Of Souls´ schenken JUDAS PRIEST ihrer weltweiten Anhängerschaft nochmals ein Werk. Im 67. Lebensjahr von Robert John Arthur Halford, im 68. von Ian Frank Hill und im 71. von Glenn Raymond Tipton, der die anstehende Welttournee aufgrund seiner seit zehn Jahren bestehenden Parkinson-Erkrankung nicht antreten wird, kann dabei längst von einem Alterswerk gesprochen werden. Das zweite JUDAS PRIEST-Werk mit dem dagegen jugendlichen, 38-jährigen Richard Faulkner könnte in Anbetracht dessen vielleicht ihr letztes gewesen sein. Gleichwohl wirkt ´Firepower´ nicht wie der verzweifelte Versuch einer abgehalfterten Combo, ein letztes Aufbäumen, um sich im Rampenlicht zu sonnen, im grellen, im neon-gelben Scheinwerferlicht. Ein in den Farben der Saison gehaltenes Cover-Artwork von Claudio Bergamin, passend zur Ästhetik dieser Gelben Seiten, liefert die schrille Antwort auf ´Screaming For Vengeance´.

Der im Vorfeld oftmals hinausposaunte Standpunkt, bei ´Firepower´ handele es sich um das beste Album seit ´Painkiller´, impliziert natürlich nicht dieselbe Güte von ´Painkiller´. Um dennoch die alte Klasse zu erreichen, fand sich sogar das Produzententeam aus Tom Allom, der JUDAS PRIEST bereits von ´Unleashed In The East´ bis ´Ram It Down´ erfolgreich betreute, und der moderne Knöpfchendreher Andy Sneap ein. Laut Werbung ist nämlich nach all den Jahrzehnten nicht nur der Gesangsbarde unser Metal God, sondern alle Bandmitglieder sind in ihrer Summe die Metal Gods.

Der Titelsong als Eröffnungsnummer steigt mit einer gehörigen Portion Dampf ins insgesamt fast einstündige Geschehen ein. Eine von Rob Halford wunderbar gesungene Bridge wird nicht unbedingt von einem schlichten nahezu Ein-Wort-Refrain gekrönt. Aufjaulende Gitarren in ´Painkiller´-Manier und erste Belege der formidablen Darbietungen von Tipton/Faulkner rauschen sogleich ins Ohr. Ein quietschender Einstieg bereitet den Weg zum ersten Höhepunkt des Albums. ´Lightning Strike´ bietet entschlossenen Gesang von Halford mit einer erstklassigen Bridge und entsprechendem Refrain. Allein solche Songs ebnen den Weg zu einem neuerlichen Klassiker-Album, das hier in seiner Gänze nicht vorzufinden ist. Weiterer heavy Ohrenschmaus sind ´Never The Heroes´, erstklassig im Mid-tempo gehalten und mit luftigen, erkennbaren Instrumenten zum Mitsingen animierend, und ´No Surrender´, eine klassische, melodiöse sowie unentbehrliche Komposition. Dagegen wäre es auf diesem neon-bunten Album der ´Lone Wolf´ im dunklen Stil 90er gewesen, obwohl auch er einen gewissen Charme, für den Liebhaber von solchen Attraktionen wie NON FICTION offenbart. Die Saiten der Fürsten der Finsternis scheinen in ´Children Of The Sun´ anzuklingen, keineswegs ´Children Of The Sea´, und legen die Gemeinsamkeiten zu jener anderen Band aus Birmingham, zu BLACK SABBATH dar. Doch im Refrain bleibt immer noch genügend Luft für das Publikum, live ein „Heia-Heia-Ho“ mitgrölend einzuschieben.

Auf der anderen Seite der Waagschale ertönen ´Spectre´, in seiner schleppenden Fortbewegung eher unscheinbar, und ´Flame Thrower´ eigentlich ein cooler Rocker, der sich gar exquisit über die Bridge in den Refrain kämpft, bis Rob plötzlich grobschlächtig die Titelworte songschädigend in den Mund nimmt. ´Evil Never Dies´ ist allenfalls eine drängend riffende Stadion-Hardrock-Nummer, die erst durch ein blutiges „Eeeevil“ zum Metal-Burner wird und einen klitzekleinen ruhigen, düsteren Alice Cooper-Part beinhaltet. Das besonnen beginnende ´Rising From Ruins´ demonstriert nochmals die feinfühlende Gesangsart von Rob Halford und ist eine weitere melodische Komposition für die jüngere Reihe ihrer Evergreens. Natürlich keine außergewöhnliche, extraordinäre Komposition, wie selbstverständlich insgesamt auf dem gesamten Werk keine weltbewegenden Erneuerungen oder Melodienbögen zu erwarten sind. Auch ´Traitors Gate´ zelebriert belebend die Riffs und fällt ebenso in diese Kategorie wie der röhrende ´Necromancer´, der fortan live wechselseitig von Rob und dem Publikum gesungen werden darf. Zum großen Finale, wenn die gelbe Sonne untergeht und die Akustikgitarre ertönt, zeigt uns Rob Halford nochmals seinen erstklassig gefühlvollen Gesang, in gewissem Maße ergreifend – so auch das gesamte Werk ´Firepower´.

(8 Punkte)

Michael Haifl

 

 

Nach dem kraftlos produzierten, unzusammenhängend wirkenden ´Redeemer Of Souls´ hatte ich die Hoffnung auf einen würdigen Abschluss der PRIEST’schen Studiokarriere eigentlich begraben. Umso mehr kann ich mich an ´Firepower´ erwärmen, schafft es die Legende auf diesem 18. Album doch tatsächlich, ein aufrichtiges Verlangen nach mehrmaligem Hören zu wecken. Natürlich hätten sich die Großmeister Füllmaterial wie die langatmige SABBATH-Hommage ´Children Of The Sun‘, das trotz geiler Bridge im Refrain verpuffende ´Flame Thrower‘ oder den einsam langweilenden Wolf am Ende verkneifen können, aber dafür wurde schließlich die Skiptaste erfunden. Und mit ´Lightning Strike‘ (hoch die Faust!), der erhabenen Kraftballade ´Rising From Ruins´ und dem herrlich zupackenden ´Traitor’s Gate‘ überwinden PRIEST auf ihre alten Tage tatsächlich nochmal die Baumgrenze im Backkatalog-Hochgebirge. Ein klassischer Grower, dieses Album – die Langzeitwirkung sollte sichergestellt sein. Mehr durfte kein halbwegs gesunder Metallmensch erwarten.

(8 Punkte)

Ludwig Krammer

 

 

Da ist sie nun endlich eingeschlagen auf meinem Schraub-und Schreibtischlein der metallischen Fachwerkstatt. Aktuelles Line-up, Titelnamen, personalspezifische Schuhgrößen, derzeitige Leder-und Nietensponsoren oder ähnliches entnehmt bitte den unzähligen anderen Quellen – wahrscheinlich wird zumindest anno 2018 keine Band so mannigfach lyrisch beleuchtet wie diese und ihr lang ersehntes als auch gefürchtetes Album. Aufi goat’s:

01 – richtiger Knaller mit feinem Klassikgitarrensolo.
02 – knüpft nahtlos an das hohe Niveau des Openers an, PRIEST at it‘s best mit starken Gesangslinien.
03 – unspektakulär aber trotzdem netter Drive, schöner tempogedrosselter MEGADETH Zwischenpart.
04 – hymnischer Stampfer, dessen Strophenaufbau als auch der Refrain mir gut gefällt.
05 – altbekanntes mit Schwung, das mich nicht so vom Hocker haut, jedoch coolen Mystic-Chorpart nach dem simplen Refrain aufweist.
06 – mmh…an was für einen Song erinnern mich die Strophen? Refrain ist nicht meins, dafür entschädigt Robs schön gesungene Balladeneinlage. Gegendarstellung nach sechsmal hören: Ohrwurm. Lässt nicht los. Manchmal braucht man das Einfache. Wenn OZZY das singen würde, wären alle begeistert.
07 – das stimmige Vorspiel zu…
08 – …dem dramatischen Epikstück, das dem Papa richtig gut abgeht als unvorhersehbarer Kontrastpunkt und Top Ten-Hit.
09 – nee, mit dem Flammenwerfer werde ich auch nach vier Durchgängen nicht warm. Gegendarstellung nach sechsmal: Gehört mittlerweile einfach zur Scheibe dazu.
10 – und auch hier isses ein bisschen dröge in der zweiten Hälfte
11 – dafür rifft’s nun nochmal schön los mit fiese-geilem AggroRob. Spätestens hier ein großes Lob für den Metal God, der über das gesamte Album eine große Leistung bietet.
12 – schöner Mitsingrocker, der live bestimmt zum mitblööken einlädt.
13 – eine Nummer mit Versatzstücken aus dem Proberaummülleimer von BLACK SABBATH? Addiert zusammen mit dem einfallslosen Refrain ergibt das meinen Tiefpunkt der Scheibe. Darf aber auch angesichts der Titelanzahl und vieler guter Momente so sein. Außerdem bringt er mich zu der visionären Idee der Generationenwertung.
14 – hui, MAIDEN-Anfang? Ich liebe den ‚zarten‘ Rob schon, doch der Refrain kann den schönen Strophen leider nicht die Krönung geben, schade. Highlight für den Nerd ist das von QUEENs ‚Flash‘ ausgeliehene ‚Aaa-aah‘. Trotzdem ein würdiger Cooldown eines kraftvoll-brennenden Albums.

So Leute, es wird ernst. Ein Werk, das zu keiner Zeit wirklich negativ auffällt, kaum polarisiert, sondern nur die Frage stellt: Wie gut isses denn jetzt wirklich? Die Antwort ist so kompliziert wie auch einfach: Multiple Choice. Die Wertung stellt dir selbst zuerst eine Frage: Wie alt bist du (die Generationsklasse entspricht deinem Geburtsdatum) und in welchem geistigen Zustand befindest du dich?

GENERATION 2000:Du bist ein aufstrebender Nachwuchsmetaller und hast nicht die Zeit, dir außer dem oft gehörten ‚Painkiller‘ ältere JUDAS PRIEST Alben anzuhören.Das macht für dich 10 Punkte. Mehr Klassiker wird es nicht mehr geben.
ZUSTAND: Egal. Zehn ist Feierabend. Es gibt auch keine 110%, auch wenn der Arbeitgeber das anders sieht.

GENERATION 1980-1990: Schon viel gehört, schon viel gesehen. Die Scheibe knallt wie Sau, aber du erinnerst dich dran, dass dein älterer Bruder dir damals eine bessere PRIEST vorgespielt hat.
ZUSTAND: In Phasen äußerster Empathie wirst du den einen oder anderen Song als modernen Klassiker einstufen.

GENERATION ZERO: Ihr wart in den Achtzigern dabei. Egal, ob ihr vorher die Evolution des Rocks seit Elvis mitmachen durftet, oder pubertierend in die sich nach dem Punk entwickelnde Ära reingeschlittert seid – ihr freut euch über ein erstklassiges Album einer eurer prägendsten Bands, bleibt aber auf dem Boden und hebt euch zwei Punkte auf für Newcomer, Innovationen und Produktionen, die nicht massenkonsumgetreu getriggert werden.
ZUSTAND: Wir werden irgendwann, wenn alle Nahrungsmittel in Plastik eingeschweißt sind, bei einem Synth-Bier sagen: 2018 – das war ein gutes Jahr, da hat JUDAS PRIEST noch geile Musik gemacht.

Ich freue mich wie Atze, habe selten in letzter Zeit eine Scheibe so oft hintereinander gehört und werde diese auch in den kommenden Jahren immer gerne mal auflegen, gehöre aber zur letzten Kategorie und empfehle ein erstklassiges Album:

(8 feurig-kraftvolle Punkte)

Less Leßmeister

 

 

Warnung! Hier schreibt eine, die in den glorreichen 80ern in PRIEST ihre erste Lieblingsgruppe fand und im Oktober 1986 sogar mit den entsprechenden, aufwändig vierfarbig lackierten Fingernägeln zur ’Fuel For Life/Turbo’-Tour pilgerte – aber danach war’s dann auch vorbei mit dem Fanbonus. Das war nicht mehr meine Band. Schluss, Aus, Ende…alles von ’Ram…’ bis ’Redeemer…’ ging weit an mir vorbei – soweit sich das in einem Metal-affinen Umfeld überhaupt vermeiden lässt. Gleichzeitig entwickelte sich mein Musikgeschmack in ganz andere Richtungen. Ich ging also mit mehr als nur einem Vorbehalt an ’Firepower’ heran, zumal mich die unter medialer Hysterie vorab veröffentlichten Songs am Computer nicht wirklich begeistern konnten. „PRIESCHD“ gehört eben schon immer laut gehört!

Tja – und jetzt sitze ich hier glückselig schockgefrostet mit sperrangelweitem Mund beim x-ten Durchlauf und kann mit ein paar Sekunden Liedanfang (’Guardians/Rising…’) zuverlässig eine Ganzkörpergänsehaut inklusive Freudentränchen abrufen, die noch dazu mit einem unbeschreiblichen Jungbrunnenerlebnis einhergehen. Und habe verstanden, dass dies eine Scheibe ist, die man nicht analysieren, sondern ausschließlich fühlen muss – so wie wir das damals neben dem Plattenspieler auf dem Kinderzimmerboden auch getan haben…Kopf aus, Volume hoch, Augen zu!

Trotzdem müssen jetzt ein paar erläuternde, schöne Sprachbilder für den noch Kauf-unentschlossenen Leser gefunden werden. Da meine hochgeschätzten Kollegen zuvor bereits höchst fachkundig über Selbstreferenzialität beim 18. Studioalbum, die Vorzüge zweier Produzenten für den korrekten Morgenlattensound bei ’Rising From Ruins’ ;-), die diskussionswürdige Auswahl von innovativen Killers vs. flauschigen Fillers bei einem echten Birmingham-Grower-Album sowie das Pro und Contra von nächtlichem Mitsingen/-träumen der Texte referiert haben, beschränke mich im Folgenden auf meinen ganz subjektiven Höreindruck und die dadurch wiedergewonnene PRIEST-Liebe. <3

Dass diese Band ohne Rob Halford nicht funktioniert war eigentlich immer klar, hier lässt man ihm absoluten gestalterischen Freiraum und natürlich steht er, wie es sich gehört, ganz glasklar nach vorne gemischt, führt erhaben ein in die jeweilige Stimmung und durch die mächtigen Höhen und mystischen bis melancholischen Tiefen (sehr raffinierter, cooler Sound bei ’Spectre’, das lyrische ’Sea Of Red’) der stil- und tempomäßig sehr unterschiedlich ausgefallenen Lieder; das macht die Scheibe so lebendig und seine Gesangsleistung absolut beeindruckend (’Necromancer’, ´Flame Thrower’). Das Songwriting ist so dermaßen JUDAS PRIEST, dass ich zuerst ketzerisch überlegte, ob es vielleicht Computerprogramme gibt, die Trademark-Riffs und maximale Wiedererkennbarkeit von Songs berechnen können? Nutzlos, selbst wenn kämen diese nicht an die Herren Halford, Tipton und Faulkner heran, die ihr eigenes musikalisches Erbe im Blut und den Knochen haben bzw. mit der Muttermilch aufgesogen und nun in ein modernes Gewand gegossen haben (´Traitors Gate’). Mühelos können sie entlang der Zeitschiene ihrer ehrwürdigen Karriere wandelnd zwischen ganz frühen Blues-Einflüssen (’Children Of The Sun’ mit seinem Iommi-Riff und ’Point Of Entry’-Flair oder die eher schwache, doomige TROUBLE-Reminiszenz ’Lone Wolf’), episch-sehnsuchtsvollen Hymnen (’Never The Heros’ mit einem topaktuellen Sound und der ALLES enthaltende, tief berührende epische Übersong ’Guardians/Rising From Ruins’ mit seinem Traumsolo) und festivaltauglichen Midtempo-Stampfern (’Evil Never Dies’ mit interessantem Mittelteil, und vor allem das PRIEST-archetypische ’No Surrender’) auswählen. Und natürlich hat das Ganze heutzutage auch den Charakter einer unendlichen Möbiusschleife: unzählige Bands wurden von den Engländern stark beeinflusst, und nun fließt das, was diese daraus gemacht haben, in die Musik ihrer Vorbilder zurück – da klingen Twingitarrensoli genauso stark nach Mittachtziger Tipton/Downing wie beispielsweise nach Amott/Loomis (’Firepower’, ’Lightning Strike’), und es spielt schlussendlich auch keine Rolle, wie groß der Anteil von Andy Sneap bei dieser Frischzellenkur war oder wie viele der vierzehn Songs keine Höchstpunktzahlen erreichen – es fühlt sich verdammt gut an, es fühlt sich nach der Rückkehr einer Legende an!

Zum guten Schluss entlässt uns mit ’Sea Of Red’ eine gefühlsgeladene, dramatische Ballade zurück ins Leben, und die knappe Stunde ist wie im Fluge an uns vorbeigezogen. Diese mitreißende, wie immer bei den Priestern positiv-lebensoffen gestimmte Platte voller Saft und Kraft, die mich nach vielen, vielen Jahren wieder mit klassischem Heavy Metal versöhnt hat, muss daraufhin natürlich sofort wieder gehört und genossen werden. „We have our honour to defend“ – gelungen! Ein wahrhaftiger Traum, der die verlorene Tochter zurück zu ihren Wurzeln geholt hat.

„Resist the devil – dare to dream“!
Metal Gods, the PRIEST(ess) is back!

(9 gefühlsechte Punkte)

U.Violet

(Mein Dank geht an alle Beteiligten für grandios-witzige 48 Stunden Rudelreview-Austausch auf allen Ebenen 😉 You rule!)