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JONATHAN HULTÉN – The Dark Night Of The Soul (EP)

2017 (Reflection Records) – Stil: Singer-Songwriter / Folk


‘You will laugh and you will cry
We’re all young until the day we die’

“Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen”, so zitiert ein geschätzter Freund und Künstler gern den großen Arnold Schönberg, und ich bin mir ziemlich sicher, dass JONATHAN HULTÉN diese Aussage sofort unterschreiben würde.

Wer den extravaganten Gitarrenvirtuosen jemals live mit TRIBULATION erlebt hat, wie er, mitten in seinem Solo, die Gitarre wie eine Tanzpartnerin in den Armen haltend als ein dunkler Zwitter aus Nurejew und Kinski in Pirouetten über die Bühne fegt, der hat in diesem Moment eine Ahnung davon erhalten, was einen Universalkünstler wie ihn ausmacht: er kann nicht nur, er muss sich und alles, was ihn bewegt, durch seine Kunst ausdrücken, und dies in ganz vielfältiger Weise, als expressives Gesamtkunstwerk inszeniert (Großartiges Beispiel: sein Seelen-Selbstbildnis im EP-Booklet als fledermausflügeliger Vampir, ein stetig wiederkehrendes Thema seiner Kunst). So zeichnet er auch für das Artwork sämtlicher Veröffentlichungen seiner ehemaligen Band STENCH wie von TRIBULATION (und unter dem Pseudonym ‘Necromantic Art’ für viele andere Bands mehr) verantwortlich, schreibt Drehbuch und führt Regie in deren Musikvideos, und hat nun, nach einigen Youtube-Veröffentlichungen, seine erste Solo-EP herausgebracht- ästhetisch stilecht ausschließlich auf Vinyl.

Die hierauf enthaltenen vier rein akustischen Stücke sind kleine Preziosen der Liedkunst, die es mehr als verdienen, die Beachtung eines größeren Publikums zu finden. HULTÉN erschafft mit maximal reduzierten Mitteln, allein mit seinem spröden Bariton, akustischer Gitarre, Piano und gelegentlichen Handclaps eine Vielzahl an Stimmungen und Emotionen, die den Hörer auf höchst charmante Art gefangen nehmen.

Ganz besonders fasziniert, wie er mehrere Spuren seines Gesangs übereinanderlegt, was stark an (nicht nur) skandinavische mehrstimmige Folkmusik oder mittelalterliche Choräle erinnert. ‘…And The Pillars Tremble’ treibt dies auf die Spitze: ein zart-kraftvoller, reiner A-Capella-Song, in dem der Künstler den Hörer in ein akustisches Spiegelkabinett einlädt, in dem seine vibrierenden Stimme(n) vielfach reflektiert und zu einem vielstimmigen Chor übereinandergelegt werden, was gleichzeitig sehr intime Nähe wie auch kühle Distanz erzeugt. Dass sich der Zuhörer stets selbst in einer der verschiedenen Gesangsspuren wiederfinden kann, ist so packend, dass es sogar den Ungeübten zum Mitsingen oder -summen animiert, so dass er selbst Teil des Liedes wird. Man fühlt sich wie in einen warmen Mantel eingehüllt und kommt innerlich zur Ruhe – dies zeichnet übrigens alle Kompositionen aus, eine gelassene Reife, die man einem nicht mal Dreißigjährigen kaum zutraut.

HULTÈNs Texte sind, anderes war kaum zu erwarten, düster, aber auch lakonisch-ironisch gehalten, es geht um (Sinn)Suche, Freiheit, Selbstfindung und die Nähe zum Tod, der bei ihm übrigens weiblich ist. Womit der Kreis sich schließt: mit Death Metal, seinem sonstigen Spielfeld, hat all dies natürlich wenig zu tun. Doch gerade deswegen ist es so interessant und spannend, sich einmal weit außerhalb des eigenen Tellerrands inspirieren zu lassen, gerne auch ganz intim live. Wer ihn kürzlich auf Tour mit CRIPPLED BLACK PHOENIX und EARTH ELECTRIC verpasst hat, kann sich umso mehr auf seinen Auftritt beim nächsten Roadburn freuen.

(8,5 Punkte)