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MISS VELVET AND THE BLUE WOLF – Bad Get Some

2017 (Heresy / Isotope Records) – Stil: Vintage-/Funk-/Soul-Rock


Tschakka. Zum Jahresende noch einmal was richtig abgefahrenes für die Rock-Gourmets unter uns. Für alle very-open-minded-Hörer, für Fans mit einem großen musikalischen Anspruch, die auch mal über den Tellerrand des harten Rock hören und keinerlei Berührungsängste mit einem Sound fernab vom Bangerherz zeigen. (Also für alle Leser dieser gelben Seiten – Anm. d. Red.)

Die acht Mann, Verzeihung, sechs Mann und zwei Frauen, aus den USA, sind aufgrund des farbenfrohes Albumcovers dem Vintage Rock zu zuordnen. Was man aber letztendlich auf dem Album zu hören bekommt, verwirrt jedoch beim ersten Mal, zumal viel Unerwartetes die Lauschlappen attackiert. Auch sind die beiden ersten Songs nicht die ausdrucksstärksten oder überzeugendsten des Albums, was einen Einstieg, das Kennenlernen der Band, nicht wirklich fördert.

Das bunte Artwork des Albums fordert geradezu gnadenlos die Zuordnung der Band zum Vintage Sound. Die grellen Farben springen einen förmlich an, wenn man vor einem Verkaufsregal steht. Im Kontext zur berauschenden Musik ein ausgefeiltes Konzept. Allerdings könnte fast der Schluss gezogen werden, MISS VELVET AND THE BLUE WOLF haben kein musikalisches Konzept. Zuviel passiert da auf einmal. Aber wenn erst einmal in diesem groovigen, funkigen, souligen, rockigen Universum der Band die klare Linie erkannt wird, dann, ja dann steigt die Begeisterung mit jedem Song.

Frontfrau Miss Velvet kann es auf jeden Fall locker mit Elin Larsson von den BLUE PILLS aufnehmen, die bekanntermaßen mit ihrer charismatische Stimme den Sound einer ganze Vintage Rock-Generation prägt. Dabei kann Miss Velvet aber auch auf Querverweise zu einer sanft klingenden Janis Joplin, einer Gloria Gaynor, Tina Turner oder Etta James blicken. Also reines Dynamit diese Stimme.
Dazu kommen die funkigen Elemente durch Saxophon sowie Trompete, die wiederum an CHICAGO oder EARTH, WIND & FIRE erinnern und sich nicht scheuen, in den offenen Kampf zu rockigen Gitarren und treibenden Beats zutreten. Und hier passiert es dann, diese fantastische Soundexplosion all dieser Komponenten zu einem Sound, der einen umgehend packt und zappeln lässt. Ruhig sitzen geht nicht mehr. Dieser 70er-Hardrock-Funk-Soul-Mix ist eine solch massive Klangwand, ein so großer Ritt in der Rock-Zeitmaschine, wie man ihn nicht oft erlebt.

Zwischen den zehn Songs finden sich zwei Coverversionen, die auf originelle Weise an den Sound von MISS VELVET AND THE BLUE WOLF angepasst wurden. Das sehr bluesige `Summertime` von Ella Fitzgerald, wobei hier vor allem Miss Velvet mit ihrer kraftvollen Powerstimme den Song bestimmt. Die andere Coverversion ist dann ein echter Überflieger. `I Can‘t Stand The Rain`, einst von Tina Turner und auch ERUPTION gecovert, im Original bereits 1974 von Ann Peebles, zu einem Hit gemacht, dürfte allseits bekannt sein. Was MISS VELVET AND THE BLUE WOLF aus diesem Song machen, ist der schiere Wahnsinn. Emotionen, Power, Goosebumps, Magie. Nicht in Worte zu fassen, innovativ und äußerst eigenständig interpretiert! – Wahnsinn sind aber auch Eigenkompositionen wie das hardrockende `Dare`, eine Nummer für die Ewigkeit, das getragene `Edge Of The Line` oder das magische `Love Train` mit Hitpotential! Nur geil!

Ein Album mit einem ganzen Sack voller Alleinstellungsmerkmalen, wahnsinnig großen Songs und einer musikalischen Vielfalt, die einen umhaut, rundet eine Sängerin mit einer gewaltigen Stimme brillant ab. Ein musikalisches Feuerwerk.

Wer nicht zu festgefahren oder verbohrt sowie nur auf „seinen“ Sound, sprich Stil fixiert ist, also Neues und zugleich doch irgendwie Altbekanntes, aber innovatives in Sachen Rock verträgt, dem sei dieses phänomenale Album ans Herz gelegt.

(9 Punkte)


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