PlattenkritikenPressfrisch

SEER – Vol. 5 (EP)

2017 (Independent) – Stil: Blackened Doom Metal


Tja, so ist es, wenn man jung und hungrig ist. Blut geleckt hat. Auf den Geschmack gekommen ist. Es wissen will. Gerade einen Lauf hat. Feuer und Flamme ist…dann kann man nicht pausieren, dann muss man einfach schnell weitermachen. Und spätestens jetzt gibt es keinerlei Zweifel mehr – sie meinen es absolut ernst!

Nur drei Monate nach dem Release ihrer ersten Full-Length‚ ´Vol. III & IV: Cult Of The Void’ (Review siehe hier) über „Art of Propaganda“ legen die Kanadier noch eine Schippe drauf und liefern im Eigenverlag eine EP ab, die sich gewaschen hat. Knapp 20 Minuten umfassen zwei vollwertige Songs zwischen jeweils sehr szenischem In- und Outro. Die langen, bedeutungsvollen Namen der Titel deuten es bereits an, hörspielartig wird uns eine Geschichte über Lovecraftsche Alte Götter, Misanthropie und die Rückkehr nach Shuggnyth erzählt, angereichert mit einem guten Schuss jenseitiger Theatralik und vor allem abartiger Schwere.

Mit ´The Seed Of Man Descends Upon The God Tomb’, das anfangs wie eine dissonant-kranke Version des ‚Tatort’-Vorspanns klingt, werden wir auf den Planeten SEER zurückgebeamt – hier ist Leben, falls überhaupt vorhanden, unirdisch heavy, Bewegungen auf dem lavartig zähen, schwankenden Untergrund sind fast unmöglich, wie gelähmt harrt man dessen, oder besser: derer, die da kommen mögen. Und sie bringen keinen Trost mit, sondern Wehklagen und apokalyptischen Horror: das superverlangsamte `The Face Of The Earth Was Darkened And A Black Rain Began To Fall` ist ein drohender Funeral Doom-Brocken, mit stampfendem, tribalartigem Drumming und -Riffing wird über die ganzen zehn Minuten eine beängstigende Spannung aufgebaut und gehalten, bis schließlich alles in einer dissonanten, mit Noise-samples aufgefütterten Instrumentenschlacht kulminiert. Fieser und abwegiger haben die Jungs noch nie geklungen, aber auch noch nie so technisch klar, so füllig und mächtig im Sound. Vor allem Bronson hat seine schon zuvor unglaublich große Ausdrucksvielfalt nochmals erweitert, und speziell seinen grimmigen Vocals einen geisteskranken Kick hinzugefügt, aber auch die Rhythmusfraktion und die beiden Gitarren legen hier ein Granitfundament unter diesen schwarzen Monolithen. Unverhofft werden wir von einer Kirchenorgel erlöst, und nun wendet sich die Stimmung komplett. Im gefällig-entspannten Dreivierteltakt lädt man den Hörer zum schunkelnden Tanz: `A Primordial Entity Observes Fom Across The Cosmic Expanse` überrascht zusätzlich mit dualen Gitarrenharmonien, einem Mitsing-Refrain und vor allem echtem Doom-Hitpotential. Mit Bronson tanzen auch Multiinstrumentalist Kyle und Gitarrist Peter sowie als Gast Robin Harris von den ebenfalls aus Vancouver stammenden WORMWITCH den Gesangswalzer aus Crooning, Fauchen und komplett irrem Kreischen, und schwingen sich dabei zu einem furiosen Höllenritt auf. Keine Erlösung in Sicht. Klar, wir hätten uns nicht von den episch-süßen Melodien einlullen lassen dürfen, ´Beware The Signal’, wir waren gewarnt, denn jetzt geht es endgültig in die abyssale Tiefe. ´The Mantra Is Recited Within The Catacomb Of Shuggnyth’ erinnert abschließend an ein zum Leben erwecktes Hieronymus Bosch-Bild, die vier apokalyptischen Rösser wiehern und fordern zum Losreiten auf, im Hintergrund rasseln die Ketten der klagenden, namenlosen Gefolterten, man kann den Schwefeldampf direkt riechen, die Kakophonie des tiefsten Höllenkreises aus mönchsartigen Chants und quälenden Maschinengeräusche erinnert an die neue BLUT AUS NORD – hoffentlich schafft es doch noch jemand, die sieben Tore schnell wieder zu schließen. SEER haben es jedoch schon lange heraus ins Licht geschafft und werden die extreme Black/Doom/Sludge-Welt nun ungehindert überrollen.

Fazit: SEER haben ihren Claim mit einer „Alles ist möglich“-Attitüde und selbstbewussten Riesenschritten auf bislang unerforschtes musikalisches wie auch songwriterisches Territorium nochmals neu und erheblich erweitert abgesteckt, und dabei wieder einmal gezeigt, dass sie eine Band sind, die zwar nicht wenig vom Hörer verlangt, der man vor allem aber noch so einiges zutrauen muss. Mein größter Wunsch: die Jungs endlich hier live auf Tour zu sehen, am besten zusammen mit AHAB, RUINS OF BEVERAST; DEIONYCHUS oder – wieso eigentlich nicht? – mit TRIPTYKON.

(8 Punkte)