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NACHTGREIF – Dunkle Materie

~ 2017 (7us Media Group GmbH) – Stil: Neuer Deutscher Hartrock internationaler Prägung ~


Da ist sie endlich wieder. Eine der interessantesten Stimmen im Crossover-Bereich, den sonst keiner macht. Neue Deutsche Härte trifft erneut auf Hardrock mit klassischen Roots beim zweiten Longplayer von NACHTGREIF um Mastermind Thorsten Fries (Gesang, Gitarre, Keyboards) und seinem treuen Weggefährten Arndt Hebel (Schlagzeug, Percussion), denen Dur-Akkorde ein pures Grauen sind und daher sogleich bekämpft werden durch ‚Kaltes Feuer‘.

Und wie herrlich düster die gesamte ‚Dunkle Materie‘ aus den Boxen strömt – nicht zuletzt auch speziell aufgrund der unverblümt kritischen deutschen Texte, mit denen Herr Fries sich alles, was ihn und andere ‚Feinde der Sonne‘ in ihren dunkelsten Stunden bewegt mit seiner urtypischen, wohlklingenden, tiefen Tremolostimme aus der Seele singt. Die Gesangslinien sind diesmal weitaus variabler und ausgefeilter als auf dem ohnehin gelungenen Debüt ‚Unter Strom‘ und der druckvolle Drum- und Gitarrensound sucht seinesgleichen.

Hierzu fällt mir in der Musikgeschichte nur folgende Begebenheit ein: Sprach der Peter nach Abspaltung von seiner Erfolgsband zum Phil: ‚Dude, schraub‘ doch einfach mal alles, was zischt und scheppert vom Drumkit ab und lass‘ uns checken, was geht.‘ Der Rest ist History: Gabriel wurde innovativer Solokünstler, GENESIS wurden mit dem brutalsten Psychopathen-Popsong aller Zeiten ‚Mama‘ noch erfolgreicher und auch Phil feierte Soloerfolge, mitunter dank dem trockensten Break, welches an Schulbällen bei ‚In The Air Tonight‘ sogar die Metalfraktion kurzfristig auf den Plan rief, und wurde zum erfolgreichsten Aushilfsdrummer aller Zeiten, u. a. sogar bei Robert Plant. Doch ich schweife ab.

Auch hier entsteht durch das Zurücknehmen von Hi-Hat und Becken ein Sound, der zusammen mit den fetten Gitarren nur entsprechend dem ‚Liebeslied‘ der Scheibe als ‚Brachial‘ zu bezeichnen ist. Die typischen NDH-Stakkato-Riffs findet man fast nur im ‚Wunderland‘, ansonsten wird durch den längeren Reifeprozess und den dadurch bedingten Einsatz dreier weiterer Gitarristen (Udo Spohn – Saitenhexer auf dem Erstling, Dirk Schäfer – der wahrscheinlich Zukünftige und die SUPERIOR-Legende Jürgen Walzer als Gast) ganz großes, abwechslungsreiches gitarrentechnisches Stil-Kino zelebriert, was für Musikfans das Alleinstellungsmerkmal dieser Band darstellt und den sehr erfreulichen Hauptunterschied zum oft recht vorhersehbaren Einheitssound der NDH-Richtung ausmacht. Die Drums stampfen – versetzt mit Powerbreaks – schön auf Eins durch die Lieder und zwingen regelrecht zum Dauernackenmuskulatureinsatz, während der dezente Keyboardeinsatz da stattfindet, wo er auch hingehört. Das Songniveau ist durchgehend fesselnd, daher möchte ich nur ‚Apokalyptisch‘ hervorheben, welches als epischer Trauermarsch eine Stimmung heraufbeschwört, welche man ausschließlich bei den Depressionsking JANUS geboten bekommt.

Mit einer Spielzeit von 55 Minuten inklusive CD Bonustrack darf der Hit ‚Kinder der Nacht‘ auch dreimal vorhanden sein, da Thorsten sich von keiner der sehr unterschiedlichen Versionen trennen konnte – künstlerisch konsequent und sinnvoller als manche Maxiveröffentlichung mit vier unnötigen Remix-Versionen, die man nur einmal hören will und danach nicht braucht. Darüber hinaus könnte ich mir lebhaft ein Livedoppel mit den Hamburger Deutschdoomgöttern B.S.T. vorstellen unter dem Motto ‚Alles Gute‘ aus Nord und Süd. Wie immer wird das einigen zu viel, zu zynisch oder zu anders sein und mancher wird weinend resignieren. Allen dunklen Gemütern dieser Welt kann ich nur empfehlen: Lasst Euch in Euren schwarzen Stunden darauf ein und Ihr werdet belohnt – mit einer knappen Stunde wohltuender Seelentherapie, welche Euch aufweist, dass Ihr nicht alleine seid und Euch auch musikalisch als geheilt aus der ‚Dämmerung‘ entlassen wird, denn es gibt eine Hoffnung, wie der im Tageslicht über grüne Wiesen an umweltfreundlichen Windkrafträdern vorbeiziehende Nachtgreif im Innencover ahnen lässt.

Da Euer Rezensent PRETTY MAIDS (!) als auch OOMPH! (!!+!) gleichermaßen verehrt und dieser Output als Referenzwerk einer neuen Stilrichtung (siehe oben) wie ein Fels aus ‚Stahlbeton‘ in der Brandung alleine im ‚Jetzt und Hier‘ der derzeitigen Musiklandschaft steht, gibt es einen Extrapunkt für Originalität und es liegt nur eine verantwortbare Wertung auf der Hand:

(9 Punkte)

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