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THE PRETTY RECKLESS – Who You Selling For

2016 (Universal Music) – Stil: Rock


Ihr zweites Album `Going To Hell` hatte mich angefixt. THE PRETTY RECKLESS waren für mich bis dahin nur diese Band mit dieser Filmschnepfe namens Taylor Momsen. Doch `Going To Hell` ist ein abartig gutes Album auf dem sich Härte, Groove, Melodie und Erhabenheit zusammenfinden, als wäre es das normalste der Welt. Momsens Stimme toppt das ganze Gebräu dann ins Unendliche. Was für eine markant unverwechselbare, erotisch-rockige Stimme. Herzstillstand. So ist `Going To Hell` in seinem Metier fast schon als Referenz-Album anzusehen. Aufgrund dieses Albums wurde natürlich das Debüt `Light Me Up` nachgekauft. Es hat ein paar gute Songs und begeistert bereits durch den abgehobenen Gesang.

Gut, nun liegt mit `Who You Selling For` der langerwartete Nachfolger zu dem Höllengerät `Going To Hell` vor. Die vorab ausgekoppelte Single war nicht schlecht, aber auch nicht wirklich der große Wurf. Aufhorchen ließ die Truppe jedoch mit der Ansage, dass sie alles live eingespielt hätten – für eine Band mit diesem Status beachtlich. Hier lebt und atmet viel Selbstvertrauen aus einer Band heraus, die so etwas gar nicht nötig hätte, denn finanziell lässt sich das Label nicht lumpen.

Ich habe mir nun Zeit gelassen für `Who You Selling For`, gerade weil der erste Eindruck etwas zwiespältig war, denn hinten raus wird das Album unerwartet ruhig. Balladen dominieren dort das Geschehen und im Vergleich zur ersten Hälfte des Albums, wo es knackig geil zur Sache geht, wirkt das irgendwie befremdlich. So wird das Album tatsächlich in zwei Hälften gespalten und man vermisst eine erwartete Ausgeglichenheit über die zwölf Songs. Nicht dass die Songs in der zweiten Hälfte des Albums schlecht wären, ganz im Gegenteil, sind doch die Balladen pure Emotion und der Gesang von Momsen kaum greifbar. Pure Erotik, in jeder Note, Leidenschaft, Originalität und die Verachtung des Kommerz. Und gerade deshalb werden THE PRETTY RECKLESS gefeiert. Sie hatten nie den Anspruch in den Charts zu landen, einen Hype auszulösen oder gar Millionen von Alben zu verkaufen. Aber sie tun es und sind dabei cool geblieben.

Das offenbart sich wunderbar an den ersten fünf Songs des Albums. Heavy, modern, bluesig und dennoch eigenständig, immer auf der Suche sich abzugrenzen. Gerade der Blues hat Spuren hinterlassen. So etwas gab es auf ´Going To Hell` kaum zu hören, dort war „Härte“ angesagt. Um sich nicht zu wiederholen hat man nun auf den Blues zurückgegriffen, diesen mit modernen Elementen verbunden und ein paar fantastische Nummern aus den Ärmeln geschüttelt. Ganz vorne mit dabei `Wild City`. Aber auch `Oh My God` überzeugt. Wahrscheinlich der Track, der am meisten an den Vorgänger erinnert. Schnell und kantig runtergezockt. Im harten Kontrast das wunderbare `Back To The River`. Ein kommender Hit! Auch das ruppig-groovige `Prisoner` hält musikalisch Verbindung zum Vorgänger. Ansonsten geht man, wie erwähnt, die Sache ruhiger an. Gerade diese Vielseitigkeit macht jedoch den Reiz des Albums aus. Obwohl ich mir ein zweites `Going To Hell` schon gewünscht hätte.

THE PRETTY RECKLESS ist ein zeitloses, klassisches Rock-Album gelungen, das sich wohltuend von der Konkurrenz abhebt, nicht nur wegen Sexyhexy Taylor Momsen, sondern wegen der sich abgrenzenden, musikalischen Klasse dieses hervorragenden zwölf Trackers.

(8,5 Punkte)