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RADIOHEAD – A Moon Shaped Pool

~ 2016 (XL Recordings) – Stil: Electronic Art ~


Vollkommen überraschend erschien im Wonnemonat Mai das neunte Album der englischen Rockband RADIOHEAD, die bereits seit Jahren das Rock im Namen gestrichen bekommen hat. Denn auf einen der großen Klassiker der 90er (´OK Computer´, 1997) folgte eigentlich zuletzt nur noch Anfang des Jahrtausends ein einziges in die Schublade passendes Werk (´Hail To The Thief´, 2003). Seither ist die Gruppe zwar global gesehen immer berühmter, jedoch nicht unbedingt musikalisch brillanter geworden. Ein hinlänglich bekanntes Phänomen des Auseinanderdriftens, das im gesamten populären Musiksektor heutzutage nicht ungewöhnlich ist.

Während sich der geneigte Musik-Liebhaber dennoch dementsprechend auf den physischen Release im Juni freut, können die Die-Hard-Supporter bis September ausharren, um sich bei der Special-Edition neben 32 Seiten vom Artwork, den Album- und Bonus-Songs auf Silberlingen, vor allem auf das Werk auf zwei heavyweight Vinyls zu freuen. Derweil dürfen die elf Songs, die alle gar nicht so neu sind, digital hoch und runter gespielt werden. Bekanntermaßen sind Fragmente von ´Burn The Witch´ bereits über 14 Jahre alt, ´Ful Stop´ und ´Identikit´ spielten RADIOHEAD 2012 auf Tour, ´The Numbers´ hieß dagegen im Dezember 2015 bei seiner Live-Darbietung von Thom Yorke in Paris noch ´Silent Spring´ und ´Present Tense´ gab Yorke schon 2009 auf dem Latitude-Festival zum Besten, während ´True Love Waits´ weit früher in den Live-Setlists von 1995 zu finden ist.

Interessanterweise waren in allerkürzester Zeit nach der überraschenden Veröffentlichung allzu hastig unzählige Kritiken präsent, die durchweg das Album in den höchsten Tönen lobten, sich dabei allerdings nicht die selbst angesprochene, nötige Zeit nahmen, die Songs zu durchdringen.

Wer zudem richtig zählen kann, dürfte schließlich den Abschluss-Track ´True Love Waits´ nicht nur als den 100. RADIOHEAD-Song auf einem Album der Band ausgemacht haben, sondern ihm eine tiefere Melancholie als bisher bekannt attestieren. Denn der gesamte Schmerz, sei es ein privater von Thom Yorke oder ein vermittelter Weltschmerz, darf vordergründig der Trennung von Yorkes Lebenspartnerin Rachel Owen zugerechnet werden. So singt er in ´Daydreaming´ mit einer Backward-Message, dass er die Hälfte seines Lebens mit jemandem verbracht hat; und ebenso spricht er in ´Decks Dark´ zu einer Frau aus seiner Vergangenheit. Aber gleichzeitig werden immer wieder Themen wie Paranoia und Unwahrheiten des Lebens angerissen, welche nicht umgehend mit der holden Weiblichkeit in Verbindung gebracht werden sollten. Wenn hingegen musikalisch in ´Burn The Witch´ und ´Daydream´ anfangs alter Glanz heraufbeschworen wird, suhlt sich dieser freilich leicht in einem COLDPLAY-Abziehbild. Die Vielfältigkeit hinter der Orchestrierung zeigt sich zuweilen in krautrockigem Material (´Ful Stop´) oder folkiger Verlautbarung, die je nach eigener Lebenserfahrung an NEIL YOUNG oder LED ZEPELLIN denken lässt (´The Numbers´). Selbst wenn im September der Geruch des Vinyls in die Nase steigt und die Finger das schwarze Gold umspielen, werden die Lieder immerfort versuchen, nach den großen Melodien oder Widerhaken zu greifen, lassen jedoch immerzu erfolglos hiervon ab und den Hörer womöglich bewusst in Zerrissenheit und trister Melancholie zurück.

(7 Punkte)