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WITCHCRAFT – Nucleus

~ 2016 (Nuclear Blast) – Stil: Doom/Psychedelic-Hardrock ~


Das alte, überaus erfreuliche Metal- und Hardrock-Jahr liegt in seinen letzten Zügen, doch am Horizont sind bereits die ersten 2016er-Sonnenstrahlen zu erfühlen. WITCHCRAFT werden die Gemeinde ab dem 15. Januar mit ‚Nucleus‘ verführen. Weniger Classic-Rock, mehr schwerer Doom heißt das Rezept auf dem fünften Album der stilprägenden Schweden. Oder sollte man besser sagen: DES stilprägenden Schweden?

Er hätte ‚Nucleus‘ auch als Soloalbum veröffentlichen können, hat Sänger/Gitarrist/Komponist Magnus Pelander, 38, kürzlich kundgetan. Mit Rage Widerberg (dr.) und Tobias Anger (b.) fand der Meister dann aber doch noch eine Rhythmusgruppe, die seinen Ansprüchen genügte. Dem Hörer können diese Personalien gepflegt am Allerwertesten vorbeigegen, solange das Resultat stimmt. Und auf WITCHCRAFTs Neuer stimmt fast alles.

Der eröffnende Achteinhalbminüter ‚Malstroem‘ wird seinem Titel mit tonnenschwerem Monumental-Riffing mehr als gerecht. Pelanders zur zweiten Songhälfte einsetzender Gesang klingt ausdrucksstärker und variabler denn je, auch wenn die damit einhergehende Theatralik sicher nicht jedermanns Sache ist. Einen Höhepunkt stellt zweifellos auch das vorab als Single veröffentlichte ‚The Outcast‘ dar. Hippieske Grooves und betörende Flötentöne a la BLOOD CEREMONY und WUCAN laden zum Tanze, um nach einem Akustikbreak federnden Schrittes in Roky-Erickson-Gefilde aufzubrechen. Verdammter Hit!

Aber noch lange nicht der Zenit der Scheibe. Den stellt der 14-minütige Titelsong dar, dessen Inspirationsrinnsale aus goldenen DANZIG-Frühzeiten, den allgegenwärtigen PENTAGRAM und JETHRO TULL zu einem mächtigen Fluss anschwellen, ehe sich der Strom durch unberührte Wälder zum Delta verzweigt und von Chorälen, einem Bending-Solo und Pelanders „Oohohooiiooiyeeiyyeaaah“-Gesang begleitet in ein Meer aus Wolken mündet. Wer ‚Voodoo Dust‘ für den besten THE DEVIL’S BLOOD-Song hält, darf schon mal den ersten Hosenknopf lockern.

Überaus episch präsentieren sich WITCHCRAFT auch in der zweiten Albumhälfte. ‚An Exorcism In Doubts‘ klingt, als hätten Jim Morrison und Roger Waters bei einem gemeinsamen Spaziergang im Herbst 1970 schon erkannt, dass Tony Iommi der Größte ist, und aus dieser Erkenntnis ein Lied gestrickt. Noch besser funktionieren ‚To Transcend Bitterness‘ und dessen verträumter Bruder ‚Helpless‘, deren herzergreifende ÖYSTERhaftigkeit in den nächsten Monaten die eine oder andere Schwangerschaft beschleunigen könnte.

Warum die Wertung für ‚Nucleus‘ nicht noch höher ausgefallen ist, liegt am Abschluss-Viertelstünder ‚Breakdown‘, der nach hypnotischer Aufwärmphase die Gitarre wie einen rostigen Nagel in den Gehörgang treibt, das Ganze unter dem Gejaule eines weit entrücken Herrn Pelander, der die Grenzen des Zumutbaren genüsslich auslotet. Die Freiheit des Künstlers, schon klar. Aber für meinen Geschmack dann doch eine Spur zu viel des Guten.

(8,5 Punkte)