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INTRINSIC – Nails

~ 2015 (Divebomb/Tribunal Records) – Stil: Power-/Thrash-/Progressive-Metal ~


Sie sind rar geworden, diese Momente, in denen sich beim Musikhören urplötzlich der ganze Muskelapparat anspannt, die Synapsen dauerfeuern und aus dem Bauch dieses wohlig-warme Gefühl emporsteigt, das einen seinerzeit beim Erkunden der weniger beachteten Gefilde unserer Metalwelt überkam. SACRAL RAGE bescherten dem Rezensenten mit ihrem Albumdebüt vor einigen Monaten solche nachwirkenden Glücksminuten, auch SORCERER und ARMORED SAINT gelang das Kunststück mit Bravour. Und nun knie ich innerlich schon wieder vor den Boxen, während der altgediente Laser die CD der kalifornischen Edelmetaller INTRINSIC abtastet. Zum fünften Mal, zum zehnten Mal, zum zwanzigsten Mal. Suchtverhalten kann so schön sein.

Kein Zweifel, diese Scheibe hätte ein Klassiker werden können. In einer Reihe stehend mit Goldstücken wie ´Mind Wars´, ´Twisted Into Form´, ´Victims Of Deception´ oder ´Act III´. Hätte. Doch just nach Fertigstellung dieses zweiten Karrierealbums (nach dem selbstbetitelten Debüt von 1987 und einer EP) machte die Plattenfirma für immer Feierabend. Die amerikanischen Labels waren nur noch an Bands interessiert, die nach der schwarzen METALLICA klangen, nach HELMET, PANTERA oder Grunge. Für thrashigen, leicht verschachtelten und dabei stets melodiösen Metal, wie ihn INTRINSIC auf ‚Nails‘ zelebrierten, gab’s angeblich keinen Markt mehr – ein Schatz musste im Dunklen bleiben.

Fast ein Vierteljahrhundert lang.

Bis vor ein paar Monaten mit dem Tiroler Charly Kogler eines der umtriebigsten Trüffelschweine des weltweiten Metal-Undergrounds Fährte aufnahm und auf der Website des INTRINSIC-Mitbegründers und Gitarristen Mike Mellinger einige bislang ungehörte Songs aufstöberte. Der Kontakt war schnell hergestellt. Und als Kogler von Mellinger erfuhr, dass die Band ein unveröffentlichtes Album auf alten Bändern im Archiv schlummern habe, dauerte es nicht lange, bis mit „Divebomb Records“ eines der bekanntesten Spezialistenlabels angebissen hatte und sich der guten Sache annahm.

Das remasterte Ergebnis könnte überzeugender kaum klingen. Glasklar und -hart springen einem mit Liebe zum Detail komponierte Thrasher wie ‚State Of The Union‘, ‚Die Trying‘, ‚On Gossamer Wings‘ und ‚Too Late, But Not Forgotten‘ ins Gesicht. Sänger Lee Dehmer muss sich keinen Millimeter hinter einem Russ Anderson (FORBIDDEN), Patrick Hughes (MYSTIK) oder Keith Deen (HOLY TERROR) verstecken. Im Gegenteil: Bei den ruhigeren, progessiveren Stücken wie ‚Pillar Of Fire‘ oder ‚Inner Sanctum‘ klingt der Frontmann wie ein etwas tiefer gestimmter Bruder des legendären John Arch; auch die Gitarren atmen den Geist von FATES WARNING, ohne bei den Ostküsten-Helden abzukupfern – ein selten gehörtes Vergnügen. Und noch lange nicht das Ende der stilistischen Fahnenstange. Mit ‚Mourn For Her‘ haben INTRINSIC eine Ballade vom Kaliber ‚There Stood The Fence‘ (TOXIK) am Start, das angefunkte ‚The Vicious Circle‘ hätte auch auf MORDREDs innovativem Erstling ‚Fool’s Game‘ zu den Highlights gezählt. Dem Zeitgeist der frühen Neunziger dürfte ‚Denial‘ geschuldet gewesen sein, was indes nichts über die Qualität dieses groovigen Melodienbonbons aussagt. SOUNDGARDEN würden sich für einen solchen Song heutzutage wohl den kleinen Finger abhacken. Auch ALICE IN CHAINS- und KING’S X-Fans wird der goldglitzernde Refrain mindestens den anbrechenden Herbst versüßen. Bleiben das watchtowerige Instrumental ‚Yikes!‘, das verzichtbare, gleichwohl gelungene LED-ZEPPELIN-Cover ‚Dazed & Confused‘ sowie der swingende, von Bläsern und Background-Sängerinnen gepimpte Bonus-Schlusstrack ‚Cannabis Sativa‘, neben dem SACRED REICHS ’31 Flavors‘ wie ein sittsames Schoßhündchen wirkt.

Lange Sätze, kurzer Sinn: Wer sich diese Scheibe samt ihrem 20-seitigen Booklet nicht krallt, verpasst eine der großartigsten metallischen Ausgrabungen der letzten Jahre. Hoffentlich können INTRINSIC bei ihrer geplanten Wiedervereinigung halbwegs an dieses abartig hohe Niveau anknüpfen.

(9 Punkte)

http://tribunalrecords.bandcamp.com/album/nails