Redebedarf

ARMORED SAINT

Interview beim Free & Easy Festival in München


Ein bisschen müde sehen sie aus, die Helden von ARMORED SAINT. Vor zwei Tagen haben die Kalifornier vom Jetlag geplagt in Wacken aufgespielt, auch jetzt müssen John Bush, Jeff Duncan und Joey Vera noch ordentlich Koffein tanken, um die Zeit bis zum Auftritt beim Free & Easy Festival im Münchner Westen wach zu überstehen. Wir sitzen auf der kleinen Terrasse der Münchner Backstage-Halle, wenig später werden sich noch Phil und Gonzo Sandoval hinzugesellen. Wie die Show war, lässt sich an anderer Stelle nachlesen. Hier gibt’s das Interview:

Hallo John, Joey und Jeff, vielen Dank, dass Ihr Euch Zeit für streetclip.tv genommen habt. Wie habt Ihr die Schlammschlacht von Wacken überlebt? 

John: (lacht) Puuh, das war ein schöner Acker dieses Jahr, alles komplett aufgeweicht. Im Backstage-Bereich haben wir zum Glück keine Gummistiefel gebraucht, und unseren Gig am Freitagnachmittag haben wir in einem Zelt gespielt, da ging’s einigermaßen für die Fans.

Jeff: Hin und wieder sind ein paar Moorleichen reingekommen, das war ein spaßiger Anblick! Ich hoffe die Leute haben all ihr Zeugs wiedergefunden, da wird bei Ausgrabungen in den nächsten Monaten oder Jahren bestimmt das eine oder andere Handy oder Zippo zutage kommen (lacht).

Konntet Ihr den Savatage-Gig am Donnerstag sehen?

Joey: Nein, leider nicht. Wir mussten am Flughafen ziemlich lange auf unser Gepäck warten und als wir dann endlich im Hotel waren, haben wir nicht mehr die Energie aufgebracht, raus zum Festival zu fahren. Ich werd’s mir bei Gelegenheit auf Video ansehen.

Gutes Stichwort. Ihr habt Euch entschieden, diesen Gig in München für eine Live-DVD filmen zu lassen, die kommendes Jahr erscheinen soll. Warum München?

John: München ist unser einziger Headliner-Gig in diesem Sommer in Europa und das Filmteam von Visions in Fear, das wir von Festivals wie dem Keep It True kennen, ist ja aus Süddeutschland. So ist über unser Label Metal Blade eines zum anderen gekommen. Und jetzt hoffen wir mal, dass wir gut genug sind, um das Material auch veröffentlichen zu können (Mission erfüllt, d. Red.).

Joey: Es war schon länger geplant, mal eine richtige, offizielle Armored Saint-Live-DVD zu machen mit 48 Tonspuren und acht, neun Kameras. So etwas fehlt noch in unserer Diskographie. Jetzt hat sich die Gelegenheit ergeben.

John: (grinst) Wir haben Millionen dafür ausgegeben!

Die Kritiken für Euer jüngstes Album ‚Win Hands Down‘ waren größtenteils gut bis überragend. Gab’s auch ein paar richtig üble Reviews?

John: Richtig üble? Eigentlich nicht. Oder, Joey?

Joey: Ein paar verhaltene Reviews habe ich gelesen, ja, auch viele gute. Aber ganz ehrlich: Allzu viel Wert lege ich darauf schon lange nicht mehr. Was mich freut, sind die Reaktionen der Fans bei den Shows. Wenn ich sehe, dass die neuen Songs bei den Leuten ankommen, dass ihnen gefällt, was uns gefällt – da geht mir das Herz auf.

Meiner bescheidenen Meinung nach ist ‚Win Hands Down‘ die beste Saint-Scheibe seit ‚Symbol Of Salvation‘. Die Kraft und Frische von Songs wie ‚Mess‘, ‚Exercise in Debauchery‘ oder auch ‚With A Full Head Of Steam‘ haben dieses spezielle Feeling von 1991. Woher kommt’s?

Joey: Ich kann das nachvollziehen, was Du sagst – bis zu einem gewissen Punkt jedenfalls. Aber wenn Du glaubst, dass das unsere Absicht beim Songwriting war, an ‚Symbol‘ anzuknüpfen, dann liegst Du falsch.

John: Und zwar komplett. Wir sind keine Band, die nach hinten schaut oder zur Seite. Ich liebe ‚Delirious Nomad‘, ‚Symbol‘, ‚Revelation‘ – auf all unseren Alben sind coole, haltbare Songs. Wir müssen uns für nichts schämen, was wir bisher veröffentlicht haben. Aber irgendetwas aufzuwärmen, zu kopieren? Nein, das würde allem widersprechen, wofür wir mit Armored Saint stehen. Wir waren immer eine experimentierfreudige Band, eine Band auf der Suche nach neuen Inspirationen. Wir haben immer versucht, verschiedene Stilistiken harmonisch in unseren Sound einzuflechten. ‚La Raza‘ war in dieser Hinsicht eine Art Sprungbrett für ‚Win Hands Down‘, weil wir uns damals sehr geöffnet haben. Dass Dich die neue Platte an ‚Symbol‘ erinnert, könnte natürlich auch an der Produktion liegen. Die ist wirklich sehr kraftvoll geworden, es klingt fett aber immer luftig und crispy. Vielleicht ist es das.

Jeff: Für mich ist ‚Win Hands Down‘ ist eine gute Mischung aus der Rohheit von ‚Revelation‘ und der Eleganz von ‚La Raza‘. Das beschreibt es für mich am besten.

Und die Songs zünden schneller…

John: Eingängigkeit war uns immer sehr wichtig bei Armored Saint. Wir sind eine sehr songorientierte Band. Das kommt mit Sicherheit auch daher, dass wir nie reine Kiss-, Led Zeppelin- oder Metal-Hörer waren, sondern uns beim Songwriting immer auch vom Pop der Siebziger Jahre was abgeschaut haben. Wie funktionieren Bridges, Refrains? Was macht eine gute Hookline aus, die sich einprägt ohne zu nerven? Armored Saint hatten und haben diese Pop-Sensibilität, das ist ein Teil der Band-DNA.

Zwischen ´Revelation´ und ´La Raza´ lagen zehn Jahre, bis ‚Win Hands Down‘ dauerte es nur fünf. Können wir uns für Weihnachten 2017 auf Album Nummer acht einstellen?

Joey: (grinst) Ups, jetzt sind wir aufgeflogen… Ja, die Zeitspannen halbieren sich, das ist der geheime Plan dahinter… Nein, im Ernst: Wir genießen diesen glücklichen Zustand der völligen Zwanglosigkeit, dafür sind wir sehr dankbar – auch für die Geduld unserer Fans. Wir bekommen keinerlei Druck von Metal Blade, müssen keine Tourpläne erfüllen, sondern können wirklich machen, was uns Spaß macht. Es fühlt sich nicht nach Arbeit an. Das ist mit Sicherheit einer der Hauptgründe dafür, dass wir immer noch inspiriert und kreativ sein können.

Ist noch Material übrig von den ‚Win Hands Down‘-Sessions?

John: (blickt zu Joey) Ja, ein ganzer Song…

Joey: Und einige Fragmente.

John: Wir haben die Messlatte ziemlich hoch gelegt mit diesem Album, das müssen wir erstmal übertreffen.

Müsst Ihr das?

John: (lacht) Müssen wir?

Jeff: Naja, eigentlich reicht’s wenn wir das Niveau halten, oder? (alle lachen)

John: Wenn wir den Antrieb nicht mehr hätten, dann müssten wir aufhören. Sag, was ist Dein liebstes Iron Maiden-Album, Ludwig?

Schwierige Frage … ich nehme das erste.

John: Haha yeah! Dann hätten sie ‚Killers‘, ‚Number Of The Beast‘ und ‚Piece Of Mind‘ eigentlich gar nicht mehr machen müssen, oder?

Ist klar… Aber dann wäre die Metalwelt um einige Klassiker ärmer. Jetzt haben Maiden ein Doppelalbum aufgenommen mit 90 Minuten Spielzeit.

John: 19 Minuten? Das ist kurz für ein Doppelalbum…

Neun-zig!

John: Uuuuuh, wow, das ist crazy.

Jeff: Ja, das nenn ich mal epic! Jetzt bin ich gespannt.

John: Wo waren wir eigentlich stehengeblieben?

Beim Nachfolger für ‚Win Hands Down‘.

John: Genau. Letztlich geht es doch darum, ein Album abzuliefern, das vor dir selbst bestehen kann. Das kann schnell gehen – wenn du die Zeit und den Flow hast. Oder es dauert eben etwas länger. Affig wird’s erst dann, wenn du so eine ‚Chinese Democracy‘ Nummer abziehst wie Guns’n’Roses und am Ende doch nur…naja rauskommt. Ich will mit Armored Saint nur Alben aufnehmen, deren Songs ich auch gerne live spielen möchte.

Wie wichtig ist es Euch, auf der Bühne alle Phasen der Band abzudecken?

Joey: Sehr wichtig! Bei unseren Headliner-Gigs versuchen wir immer, Songs von allen Alben zu spielen. Auch hier in München haben wir die Setlist so zusammengestellt. Ich kann mir nicht vorstellen, auf die Bühne zu gehen und nur alte Songs zu bringen.

John: Es gibt doch nichts langweiligeres als Bands, die Tour für Tour nur ihr altes Zeugs spielen, um den Fans einen Gefallen zu tun. Also ich möchte das nicht jeden Abend machen. Aber klar, ab einer gewissen Größe musst du da vielleicht auch mehr Zugeständnisse machen als dir lieb ist. Was mich mal reizen würde, wäre eine U2-Tour, auf der sie nur die etwas unbekannteren, obskureren Songs spielen, das wäre großartig. Bei ‚Sunday Bloody Sunday‘ ist für mich immer Pinkelpause (John sagt Piss-Break). Das hab ich zu oft gehört…

Ihr habt beim Hellfest in Frankreich gespielt, jetzt in Wacken. Habt Ihr Euch schon mal gefragt, wer die Festival-Headliner sein werden, wenn Maiden, Priest, Accept, Saxon und eines Tages auch Metallica die Segel streichen?

Joey: Interessante Frage, genau darüber haben wir heute Nachmittag auch diskutiert…

Mit welchem Ergebnis?

Jeff: Armored Saint! Hahaa!

John: Der war gut. Eine wirklich ergiebige Antwort haben wir auch nicht gefunden. Slipknot vielleicht? Aber so neu sind die ja auch nicht mehr… Es ist echt schwer, weil es in dieser Größenordnung eben nur wenig jüngere Bands gibt. Ich hätte vor 20 Jahren nicht gedacht, dass Maiden, Priest, Motörhead und all die anderen ihren Stellenwert beim Publikum würden halten können. Teilweise sind sie ja sogar noch populärer geworden, weil der Respekt vor älteren Bands heute höher ist als früher. Ich weiß noch, dass wir Mitte der Neunziger mit Anthrax schon als ältere Band galten, obwohl wir erst Anfang, Mitte Dreißig waren. Das hat sich geändert. Du musst es dir allerdings hart erarbeiten, deine Alben müssen was taugen. Der Grad zur Peinlichkeit ist im Rock’n’Roll wesentlich schmäler als im Blues oder Jazz, wo es einfacher ist, in Würde zu altern. Hardrock und Heavy Metal sind in ihrem Ursprung eine Musik von jungen Leuten für junge Leute, die Energie muss immer da sein. Wenn du das nicht mehr rüberbringen kannst, ist es Zeit zu gehen.

(Inzwischen haben sich Phil und Gonzalo „Gonzo“ Sandoval hinzugesellt)

Können wir zum Abschluss des Interviews noch ein politisches Thema anschneiden?

John: (grinst) Kommt drauf an…

Es geht um den Immobilien-Milliardär Donald Trump, der für die republikanische Partei in den US-Präsidentschaftswahlkampf ziehen will.

Jeff: Ja, der nimmt kein Blatt vor den Mund…

Kann man so sagen. Zuletzt brachte er die Latino-Gemeinde in den USA gegen sich auf mit Pauschalisierungen über vergewaltigende, drogendealende Einwanderer. Wie habt Ihr das aufgenommen als Band mit teilweise mexikanischem Hintergrund?

John: Trump ist kein typischer Politiker. Er hat Geld wie Heu und sagt Dinge, die für manche Leute auf eine gewisse Art erfrischend sind, weil sie der Political Correctness widersprechen. Wenn Trump nicht zum Kandidaten der Republikaner gewählt wird, dann wird es ihn finanziell nicht beschädigen, das macht ihn unabhängig. Ich kann mit seinen Aussagen persönlich nichts anfangen, trotzdem lohnt es sich, darüber nachzudenken, warum in unserem Land so eine Sehnsucht nach klaren, harten Worten besteht.

Gonzo: In meinen Adern fließt mexikanisches Blut, ich kann verstehen, dass „La Raza“, also die Hispanics in den USA im ersten Moment sehr aufgebracht waren. Trotzdem fand ich es überzogen, wie viele Medien über Trump hergefallen sind, ohne zu differenzieren. Er hat über illegale Einwander gesprochen, nicht über alle Einwanderer. Klar ist vieles populistisch zugespitzt, was er sagt. Aber im Gegensatz zu vielen Politikern, die irgendeiner Lobby dienen müssen, hat er eben keine Scheu, die Dinge beim Namen zu nennen. Unser Land hat enorme Probleme, sei es die Arbeitslosigkeit, die Infrastruktur und und und… Aber das größte Problem ist meiner Meinung nach, dass die Leute immer mehr in Apathie versinken, irgendwelchen Schwachsinn in der Glotze schauen und sich gesellschaftlich oder politisch überhaupt nicht mehr engagieren. Wenn Trump nur einen Teil dieser trägen Masse aufweckt und zum nachdenken bringt, dann hat es schon was genutzt.

John: Und das sagt ein Vergewaltiger wie Gonzo! (alle biegen sich vor Lachen)

Vielen Dank für eure Zeit, Leute! Es war mir ein Vergnügen.

Phil: Viel Spaß bei der Show. Hau rein!