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SACRAL RAGE – Illusions In Infinite Void

~ 2015 (Cruz Del Sur) – Stil: Progressive Metal ~


Bombastisch, schnell, hart & zart – fast jedes Genre unserer ewig jungen Musik hat in diesem neuen Jahr bereits ein paar Schmankerl hinzubekommen. Nun dürfen auch die Liebhaber und -innen der selten versorgten Nische namens „Texas-Metal“ den Gürtel lockern. SACRAL RAGE kommen zwar nicht aus Austin sondern Athen, doch der Sound des Quartetts auf seinem Albumdebüt ‚Illusions In Infinite Void‘ degradiert geographische Ungenauigkeiten zur Randnotiz. Wer WATCHTOWER, HADES, S.A. SLAYER, HELSTAR, MILITIA, ARCANE und Kollegen vergöttert, wird SACRAL RAGE künftig mindestens ins Nachtgebet einschließen. Kein Wunder, dass die Band demnächst beim weltweiten Branchengipfel, dem „Keep It True“, aufspielen darf.

Die acht Songs (plus ein Intro) der Scheibe stellen in jeder Hinsicht eine Steigerung zur Debüt-EP ‚Deadly Bits Of Iron Fragments‘ (Review siehe hier) dar. Das Material ist zwar verschachtelter arrangiert, verheddert sich allerdings zu keinem Zeitpunkt in angeberischer Akrobatik. Sinnvollerweise ist mit ‚En Cima Del Mal‘ das eingängigste Stück an den Anfang platziert. Eine Minute lang dürfen sich die Gitarren warmlaufen, dann beginnt die wilde Fahrt. Sonnenblitzende Riffs blähen die Brust, das Kinn wandert von unsichtbarer Hand gezogen nach vorne – ein Auftakt, wie ihn besagte Texashelden oder seelenverwandte Amibands wie REALM, STEEL PROPHET oder VICIOUS RUMORS zu ihren Glanzzeiten nicht besser hinbekommen hätten. Sänger Dimitris K. passt mit seiner hohen, dezent angerauten und sehr gerne in Tecchio/McMaster/Soliz-Sphären wandelnden Stimme perfekt ins Bild. Man fühlt sich direkt 25 Jahre jünger, sofern man die Hochzeiten des Progressive/Techno-Thrash Ende der Achtziger miterlebt hat. Inspiriertere Heldenverehrung ist mir seit Ewigkeiten nicht zu Ohren gekommen.

Bei ‚Panic In The Urals‘ lässt allein der Titel schon das Assoziationszentrum anspringen. Und in der Tat: Eine liebevollere ‚Mayday In Kiev‘-Hommage hat die Welt noch nicht gehört. Wenn nach dreieinhalb Minuten noch der TOXIK-Einschlag (‚Think This‘-Phase) hinzukommt, sind Kontrolle und Widerstand längst perdu. Auch beim wahnwitzigen ‚Waltz in Madness‘ (frühe ANNIHILATOR treffen auf HADES), dem MAIDEN/HELSTAR-inspirierten Instrumental ‚Into Mental East‘ und ‚Inner Sanctum Asylum‘ (einprägsamster Refrain des Albums, KING-DIAMOND-Vibes) bleibt vor Begeisterung kaum eine Sekunde zum Luftholen.

‚A Tyrannous Revolt‘ ist der thrashigste Song der Scheibe: ein ‚The Eldritch‘-mäßiger Beginn, edelstählerne ‚Resisting Success‘ und ‚Think This‘-Schule, hintenraus noch ein VOIVOD-Schlenker – herrlich! Das abschließende ‚Lost Chapter E.: Amarna’s Reign‘ betont die straightere, melodische Seite der Band. FLOTSAM AND JETSAMs ‚Dreams Of Death‘ taugt hier als Anhaltspunkt, das Grande Finale schließlich huldigt den Göttern von RUSH und klingt nach sechs Minuten aus, um nach viereinhalb Umdrehungen Stille mit einem netten Science-Fiction-Horror-Soundscape samt anschließendem Doom-Riff zu überraschen. Solche Sperenzchen kannte man aus den Anfängen des CD-Zeitalters. Aber genau aus dieser Periode scheinen SACRAL RAGE ja durchs Wurmloch gerutscht zu sein.

Austin oder Athen? Hauptsache Alarm!

(9 Punkte)

Ludwig Krammer

 

Die Zeiten, als der Tech-Metal wie billige Massenware erschien, weil andauernd ein neues Geschoss ins Metal-Universum abgefeuert, aber trotz der schnellen Taktung zumeist wertvolles, zeitloses Material abgeliefert wurde, sind längst in die Annalen eingegangen. Aktuell darf sich der Liebhaber immerhin auf eine jährliche Zündung  einstellen.

2013 waren es MEMENTO WALTZ, 2014 SYNAPTIK, dieses Jahr werden es unstrittig SACRAL RAGE sein, falls nicht noch die Italiener von BLAKE´S VENGEANCE mit ihrem Debüt vorbeischauen sollten. Auf alle Fälle hat die europäische Liga in diesem Metier die US Liga vollständig abgelöst, lediglich VEKTOR können sich vielleicht in Zukunft von Neuem einreihen. Während BLEEDING in diesem Jahr den ANACRUSIS-, DEPRESSIVE AGE-, SECRECY- oder PSYCHOTIC WALTZ-Connaisseur erfreuen, begeistern SACRAL RAGE vielmehr die Fans von HELSTAR, TOXIK, HADES oder WATCHTOWER.

Nach dem kurzen Intro ´Harbringer´ feuern SACRAL RAGE mit `En Cima Del Mal` das erste Geschoss in den Orbit. Rhythmisch noch nicht allzu sehr die Beine verdrehend kommt die Gänsehaut bei den ersten high-pitched Gesängen. Eine kurze KING-DIAMOND-Gedächtnisline bleibt dabei glücklicherweise der einzige Verweis in Richtung des Kings, denn Dimitris K., der auf eine ganz eigene Art und Weise singt, hat dies – anders als aktuell anscheinend wohl jeder zweite Metal-Sänger – gar nicht nötig („Shadows, devour my soul, atom, beyond my control, immerse, in a vortex of fear, vanity, en cima del mal“). In´Lost Chapter E.: Sutratma´ zeigen SACRAL RAGE  noch mehr Eigenständigkeit. Nur leichte HELSTAR oder gar neoklassische Gitarren-Einflüsse schimmern etwas durch, ansonsten ist dies aber das einzige, nicht vollkommen überragende Lied des Albums.

Dazwischen geht es Schlag auf Schlag. Wenn nicht das Instrumental ´Into Metal East´ kurz das gesangliche Hitfeuerwerk unterbrechen würde, könnte vom schönsten Klassiker-Triple seit WATCHTOWERs Göttergaben gesprochen werden, denn ´Panic In Urals (Burning Skies)´ lässt nicht nur jeden Texas-Metal-Liebhaber auf die Knie sinken. Nach einem rhythmisch galoppierenden Einstieg, lässt die Band spätestens ab einem High-Scream alle Fesseln fallen, sogar PSYCHOTIC WALTZ-artige Gitarren-Einschübe werden – auch im Folgenden – immer wieder ausfindig gemacht. Danach geht es mit `Waltz In Madness´ noch flotter, noch atemraubender voran, wobei selbst den Jarzombek-Brüdern hier kurz die Luft weg bleiben dürfte. Auf das erwähnte Instrumental ´Into Metal East´ folgt ´Inner Sanctum Asylum´ – und natürlich geht es unverändert, also unvergleichlich weiter. Der dritte schon-jetzt-Klassiker in Reihe könnte auch der großen NEVERMORE-Fanschar äußerst gut munden.

Der Songreigen schreitet ansonsten unaufhaltsam wunderbar fort. In ´A Tyrannous Revolt´ singt Dimitris K., der in den Geschichtsbüchern wohl unbedingt neben Jason McMaster, Alan Tecchio und Jon Olivia Platz nehmen will, fast durchgehend in hohen Lagen. Der Rhythmus des Liedes schwebt dabei vereint mit der Melodie ins All, das ist die große Kunst des Songwritings. Und wer noch immer nicht in Ohnmacht gefallen ist, der erlebt zum Abschluss erneut allerfeinsten Tech-Metal, wie er zuletzt nur auf ´Nosferatu´ erklungen sein mag. Doch kurz bevor die Musik in die Stille der Nacht entgleitet, wird tatsächlich noch das größte Trio aller Zeiten aus Kanada (fast) zitiert. Anbetungswürdig.

(9 Punkte)

Michael Haifl