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TY SEGALL – Manipulator

2014 (Drag City) – Stil: Psych/Pop/Rock


Der Tag rinnt gemächlich dahin. Die Blätter werden rot. Die Sonne versinkt in selbiger Farbe. Die Pilze warten an jeder Ecke, in diesen feuchten Tagen, aufgesammelt zu werden. Ein paar liegen auch noch hier im Baumhaus. Doch merke, lieber Pilze als Gase. Ja, Gase meine ich. Es soll doch tatsächlich Menschen geben, die schnüffeln, um high zu werden, an Autoabgasen. Lecker, da lob ich mir doch die Klarsicht der Jugend in Malaysia. Die schnüffelt lieber Kuhmist, statt sich chemische Drogen oder Autoabgase reinzuziehen. Einfach die Nase an einen guten Kuhfladen halten und ordentlich durchziehen. So geht das. Dieses schöne frische Schwefelgas soll beim Inhalieren geradezu himmlische Rauschzustände auslösen. Die ländliche Jugend scheint beneidenswert und der Stadtbevölkerung in diesem Segment einer vorzüglichen Einatmungstechnik wohl haushoch überlegen.

Inmitten dieser Gedanken taucht plötzlich mein Nachbar auf und liefert mir meine kleine Vinyl Bestellung. Ein kleiner Karton randvoll mit buntem Vinyl. Flugs das Paket geöffnet und mit geschlossenen Augen eines herausgezogen, um es hier gleich gemeinsam zu hören. Und da liegt doch tatsächlich vor mir dieses leckere Gatefold-Vinyl – mit zwei wunderschönen roten Langrillen. Schnell auf den Teller geworfen, mit vorsichtigen Fingern nur berührt, und das Stromaggregat angeworfen.

Welch ein Hasardeur, dieser TY SEGALL. Mit 27 Jahren hat er bereits unzählige Alben, von den nicht mehr zu zählenden EPs ganz zu schweigen, veröffentlicht und verfolgt mittlerweile seit sechs Jahren eifrig seine Solo-Karriere. Nachdem er sich auf `Goodbye Bread` (2011) noch verstärkt dem Garagen-Rock zugewandt hatte, anschließend auf `Slaughterhouse` (2012) Psych-Punk spielte, ist er von der eher akustischen Episode mit `Sleeper` (2013) längst wieder zu kreisenden Gitarren zurückgekehrt. Dabei durchstreift er immer noch den Garagen-, Folk- und Psych-Rock glamourös intensiv, aber in jederzeit nachvollziehbaren kleinen Stücken, die sich wohl alle als Single eignen würden, was heutzutage nur wenige Alben von sich behaupten können.

Draußen ist es mittlerweile furchtbar finster geworden. Die Hitze der Musik scheint sich auf die Umgebung zu übertragen. Es dröhnt und brodelt an jeder Ecke, ein paar Streicher hier und da bleiben dabei auch nicht aus. Die frühe Psych-Ära mit SYD BARRETT darf in solch prägnant kurzen Songgebilden natürlich nicht fehlen. Es brodelt gar ohne Unterlass, da mein Nachbar derweil ein Pilz-Ragout über den brennenden Holzscheiten aufgesetzt hat. Aber was für eins.

Auch wenn Segall gerne als Garagen-Rocker bezeichnet wird, ist er diesem Etikett längst enteilt. Laut, heavy und voller Power lässt der Kalifornier zudem seine Soli immer wieder erklingen, so dass selbst eine Kategorie wie Power-Pop unzutreffend erscheint. In `It´s Over` und `The Clock` sind Marc Bolan mit T. REX ebenso wie auch die Großmeister von LOVE nicht fern.

Der Abend ist heiß, die Nacht wird heißer, die Hitze ist spürbar. Die Hitze, die heiße Musik, die heißen Gitarren oder die wabernden Bässe, alles wallt auf. Musik aus längst vergangenen Zeiten, als der Interpret noch gar nicht geboren war. Und dabei singt Segall teils so schön wie frühere West-Coast Gruppen, selbst THE BYRDS und THE BEATLES sind dann nicht mehr weit weg. Mühsam, von den Tagesmühen entkräftet, wird nun, bei einer knappen Stunde Spielzeit, die vierte Vinyl Seite aufgelegt. Und auch THE YARDBIRDS (´The Faker`) und GRAND FUNK RAILROAD (`Feel´) Anklänge bleiben nicht aus.

Vor dem Baumhaus haben sich mittlerweile unbekannte Menschen versammelt. Sie halten sich alle an den Händen. Sie schütteln ihre Köpfe, sie klatschen in die Hände. Die Fröhlichkeit lässt sich selbst im schimmernden Licht des Feuers an ihren Gesichtszügen ablesen. Alle scheinen vollkommen fröhlich, aber etwas geistesabwesend zu sein. Ein Grinsen steht in jedem Gesicht geschrieben. Plötzlich wirft jemand eine Dose in das Feuer. Ich schaffe es gerade noch kurz vor der Explosion hinter dem Plattenspieler im Baumhaus in Deckung zu gehen. Holzsplitter fliegen durch die Luft, bohren sich in alles innerhalb ihrer Nähe, doch der erste verängstigte Blick wandert Richtung Vinyl-Sammlung. Die Druckwelle pustet währenddessen den Player wie der Wind ein vom Baum fallendes Blatt zur Seite. In letzter Sekunde schaffe ich es, ihn und das rot schimmernde Vinyl unversehrt in meinen Armen aufzufangen. Glück gehabt.

(9 Punkte)