MeilensteineSpezielles

Nicht von dieser Welt – H. R. GIGER

ARTIST OF THE CENTURY


Kein bildender Künstler hat die Welt der Rockmusik mehr beeinflusst als H.R. Giger.

So unterschiedliche Acts wie EMERSON, LAKE & PALMER, DEBBIE HARRY, die DEAD KENNEDYS, FLOH DE COLOGNE, SACROSANCT, DANZIG, THE SHIVER, CARCASS, STEVE STEVENS, MAGMA und vor allem CELTIC FROST / TRIPTYKON haben ihre Alben mit Werken des genialen Schweizers geschmückt.

Entsprechend groß war die Schockwelle, die die Nachricht von Hans-Ruedi Gigers Tod am Dienstag auslöste. Seit Ronnie James Dios Ableben vor vier Jahren hat es keinen annähernd vergleichbaren Verlust mehr für unsere Szene gegeben.

„Es ist vollkommen unvorstellbar, sich eine Welt ohne seinen Geist, seine Vorstellung, sein Genie, seinen Horizont, seine Entschlossenheit, seinen Humor, seine Freundschaft und seine unermessliche Liebenswürdigkeit auszumalen. Und doch bleiben wir nun in genau solch einer Welt zurück“, schrieb Gigers enger Vertrauter Thomas G. Fischer in seinem Blog.

Erst vor kurzem hatte Tom G. „Warrior“ am Rande des Interviews mit STREETCLIP von der Freude berichtet, die er Giger mit der Überreichung des fertigen Artworks für das neue TRIPTYKON-Album ‚Melana Chasmata‘ gemacht habe: „Das war ein bewegender Moment, als Giger das Album in Händen hielt und sagte, er sei sehr angetan von der Umsetzung.“ Bald darauf muss der Sturz passiert sein, dessen Folgen Giger an diesem Montag, dem 12. Mai 2014, erlag.

1940 als Sohn eines Apothekers in Chur/Graubünden geboren, beschäftigte sich Giger schon in Kindertagen mit der eigenen Vergänglichkeit. Seine Lieblingsanekdote hat er oft erzählt. „Ich war etwa fünf Jahre alt, da erhielt die Steinbock-Apotheke in Chur eine Kartonschachtel von einem Basler Chemiebetrieb zugeschickt. Sie war mit zwei Schädeln bestückt; der eine war tierischer, der andere menschlicher Art. Der Menschenschädel war ziemlich alt, und die Schädeldecke war abgetrennt. Der Unterkiefer fehlte. Nach einer anfänglichen Scheu, die mich davon abhielt, ihn anzufassen, wurde ich mutiger. Bis ich ihn schließlich an eine Schnur knüpfte, um ihn scheppernd hinter mir her zu ziehen. So konnte ich der ganzen Welt beweisen, dass ich den Tod nicht fürchtete.“

„Ich habe den großartigen Künstler HR Giger in den 80igern durch Celtic Frost entdeckt und bewundere bis heute, wie Artwork und Musik so genial zusammenspielen können. Rest In Peace.“ (Mario, MAYFAIR)

Umso furchterregender waren Gigers Bilder und Skulpturen. Nach seinem Innenarchitektur- und Industriedesign-Studium, das er 1966 in Zürich abschloss, begann die Karriere als Künstler. Werke wie die „Gebärmaschine“ machten ihn überregional bekannt. Medialer Höhepunkt war der Oscar in der Kategorie „beste visuelle Effekte“, den er 1980 für sein Design des ‚Alien‘-Monsters verliehen bekam.

„Seine Werke haben mich schon in meiner Jugend durch die Metal-Szene begleitet. Nicht nur die tollen Cover-Artworks, sondern natürlich auch ALIEN, haben mein Interesse für das Morbide genährt. – Ein riesiger Verlust.“ (Marc Nickel, BLEEDING)

Wer das schaurige Stück und seine Artverwandten aus nächster Nähe bestaunen will, dem sei ein Besuch im H.R. Giger-Museum im Schloss St. Germain in Greyerz (Kanton Freiburg) empfohlen. Alle wichtigen Werke Gigers sind dort ausgestellt. Das Museum soll nach dem Tod des Künstlers in eine Stiftung übergehen.

„This is only a new journey for you… immortal people never die!“ (Marco & MEMENTO WALTZ)

Gigers immer wiederkehrendes Thema war die Kybernetik, die Verschmelzung von Mensch und Maschine. Er prägte den Begriff der Biomechanoiden („Die Genforschung wird uns noch das Fürchten lehren. Schon das Klonen ist ein Albtraum. Siamesische Zwillinge als Arbeiter, ein Unterleib, zwei Köpfe, vier Arme“), er hatte aber auch ein Faible für H.P. Lovecraft und speziell dessen Cthulhu-Mythos. Mit Feder, Kohlestift und Airbrush-Pistolen leuchtete Giger ins Reich des Okkulten, visualisierte obsessiv den sexuellen Akt, was Moralapostel jeglicher Couleur auf den Plan rief. „Egal wie erfolgreich ich im Ausland war, man hat es mir in der Schweiz nie leicht gemacht“, sagte Giger 2008 in einem Spiegel-Interview.

„You know, in the twentieth century we have been pretty devoid of truly stunning visual art. There have been a few exceptions though. The classical painters of old had gone and passed into the obscurity and the concept of true mastery and skill had gone with them. In a world of Andy Warhol and Pablo Picasso we had Hans Rudolf Giger, the undisputed master of the airbrush. He has passed from our world into the next, but there will never be an equal and I don’t care how hard any one may try to bring back the simply stunning realities he immersed us in. A true master painter and visionary; in some ways you can see the environment around you transform in to his paintings and sculptures after a while. I’m sad to hear he has passed on but from what I know he did things the way he liked and my sympathies to his wife, cat and loved ones.“ (Antero, BARROW WIGHT)

Seine zwei Arten des Arbeitens beschrieb er darin so: „Entweder wusste ich genau, was ich wollte, und musste das Bild in meinem Kopf nur noch umsetzen. Oder ich habe mich nachts bei Kunstlicht vor eine Leinwand aus Papier gesetzt und von links nach rechts angefangen zu malen – ohne zu wissen, was entstehen wird.“

„Kaum ein anderer Künstler hat es geschafft, mit seinen Gegensätzen und seinem Schaffen derart zu berühren und Emotionen auszulösen. H.R. Gigers biomechanische Kreationen lösten bei den Einen wahre Begeisterungsstürme und Bewunderung aus, während Andere sich vor seinen surrealen Darstellungen fürchteten oder sogar ekelten. Egal ob seine Kunst nun jedermanns Geschmack war oder nicht. H.R. Giger, der Schöpfer der Aliens und der biomechanischen Kreaturen, war ein außerordentlich begabter und vielseitiger Künstler. Einer der Wenigen der es schaffte mit seinen Werken zu überzeugen, Emotionen zu wecken und Gefühle auszulösen. Einer der das Bild der Aliens in die Köpfe ganzer Generationen eingebrannt hat. Danke  …  Wer sich von seinem vielseitigen Schaffen ein Bild machen will, sollte unbedingt das H.R. Giger Museum in Gruyères besuchen.  Die Bandbreite seines Schaffens ist weitaus breiter als viele Leute bis anhin gedacht haben.“  (Pat Gerber, APPEARANCE OF NOTHING)

Pic.: Mechanical Organic-Studio with posters framed from floor boards and sticks from own back yard

„Many years ago I played in a progressive metal band named Vaudeville / Vauxdvihl. We were in the rehearsal studio one weekend and the guitarists at the time pulled out a HR Giger art book. I could not put the book down, I was mesmerised and completely blown away. That was my first glimpse of some of his unearthly artwork. After that initial encounter I went out and bought every art book by HR Giger I could find. To this day my obsession continues. My studio at home is covered in HR Giger framed posters. The man was one of a kind, a legend, and his contribution to the art world will remain forever.“  (Eddie Katz, MECHANICAL ORGANIC, VAUXDVIHL), 

20 Jahre, von 1972 bis 1992, dauerte Gigers produktive Hochphase. 2012 sagte er dem Schweizer ‚Blick‘: ‚Ich könnte mit dem Malen von erotischen Aliens immer noch viel Geld verdienen. Aber das interessiert mich nicht mehr. Ich mag nicht mehr fleißig sein. Ich habe meinen künstlerischen Beitrag für diese Welt geleistet. Manchmal, wenn ich etwas deprimiert bin, blättere ich meine Werkkataloge durch und sehe, was ich alles geleistet habe. Das gibt mir enorme Zufriedenheit.“ Was das Wichtigste sei im Leben? „Zufriedenheit, Freude und Kreativität. Ich habe alles gehabt.“ Kinder? „Meine Kinder sind meine Bilder.“

Die Kunst ist Gigers Vermächtnis. Angst vor der Endlichkeit habe er nie gehabt, sagte er einmal, nur vor dem Dahinsiechen fürchte er sich. „Ich will schnell sterben. Bumm und fertig ist es.“ Ein Glaube an das Jenseits oder die Wiedergeburt blieb ihm stets fremd: „Ich glaube, dass mit dem Tod alles aufhört. Die Vorstellung, dass alles immer weiter geht oder dass ich sogar zurück auf diese Welt kommen soll, ist schrecklich. Ich will nicht noch einmal leben. Einmal ist genug. Aber, auch wenn ich mal nicht mehr da bin, meine Kunst lebt weiter. Das freut mich, und ich hoffe, dass sie bei kommenden Generationen Anerkennung findet.“

H. R. Giger – unser Artist of the Century

 


Von: Ludwig Krammer / Michael Haifl

Pic Giger: (c) Matthias Belz