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SPIRIT DESCENT – Anthem

~ 2014 (Eigenproduktion) – Stil: Doom ~


Doom bewegt sich schlürfend, kriecht gar langsam am Boden entlang. Doom ist erdrückend. Doom liegt wie eine schwere Bürde und peinigende Last auf der menschlichen Seele. Manchmal ist die Finsternis dann so undurchdringlich, dass sich jedwede Bewegung und alles Vorankommen nur unterirdisch vollziehen können. Dann kann es sogar sein, dass der Höllenschlund nicht fern ist und die tiefsten Abgründe allzeit zugegen sind. Bewegt man sich aber beizeiten auf der Oberfläche, mag es gar etwas hoffnungsvoller sein. Denn zwischendurch öffnet sich in ganz seltenen Fällen das Himmelszelt. Die Wolken öffnen eine Schleuse und kleine Sonnenstrahlen blinzeln durch die Düsternis herunter. Womöglich muss man sich dazu auf eine lange Wanderung zu den höchsten Gipfeln der Erde begeben, um diese wenigen Momente der aufblitzenden Helligkeit zu erleben. Dann erfährt der Doom seine heilige Weihe und epische Lichtstrahlen illuminieren zeitweilig das Nichts.

SPIRIT DESCENT lassen den Connaisseur nicht in der Finsternis, sondern im Glanze erstrahlen und schenken ihm auf dem neuen Konzept-Werk `Anthem´ andauernde Sonneneruptionen. Das von Sänger Jan Eichelbaum ausgearbeitete Konzept basiert auf dem bekanntesten Werk der akkadischen und sumerischen Literatur – das babylonische Gilgamesch-Epos. Eine der ältesten überlieferten und schriftlich fixierten Dichtungen. `A Solitary King`: Gilgamesch – zwei Drittel Gott und ein Drittel Mensch – herrscht als König in Uruk und zieht den Zorn der Götter auf sich. Deshalb erschaffen sie Enkidu, der sich bald auf die Suche nach dem König macht. Das gesamte Album wird von einer einmaligen Atmosphäre durchzogen. Es wird sich kein wiederholender Kehrvers finden, kein Textzeilenwiederholungszwang tritt hier zutage. Gleichwohl lässt Jan Eichelbaum fast in jeder Strophe die schlürfende Düsternis durch blitzende Lichtstrahlen erhellen, der Wanderer fällt andauernd vor Ehrfurcht zu Boden, um den himmelhochjauchzenden Klängen vollste Aufmerksamkeit zu widmen. Und obendrein finden sich bei der Wanderung, von Strophe zu Strophe, plötzlich in jedem Lied noch weitere Höhepunkte, die den Hörer wie auf Wolken über den höchsten Berggipfeln schweben lassen. `The Dream`: Durch zwei Träume erhält Gilgamesch vorab schon Kenntnis von der Existenz Enkidus. Eine einzigartige hypnotische Wirkung lässt die Traumwelt von Gilgamesch vibrieren und transzendieren. Jan Eichelbaum scheint gar selbst über allem zu schweben. `Till Death Do Us Part`: Gilgamesch und Enkidu kämpfen zuerst gegeneinander, beschließen dann aber Brüder zu werden. Doch nach weiteren Fehltritten schicken die Götter eine Krankheit, an der Enkidu stirbt. Zwischen heroischem und psychotic´schem Gesang hin und her schwenkend lässt sich der Kampf nicht nur erahnen, sondern fast fühlen. Kurz eingestreutes Growling mag dabei zusätzlich gestattet sein, bevor Gilgamesch als überlebender Kämpe allein auf dem Berggipfel steht und die hypnotischste aller Gitarrenmelodien erklingt. Eine Melodie, die von fast dudelsackartigen-Lauten geprägt ist und alle Lebewesen in der Umgebung in seinen Bann zieht. Magie liegt in der Luft. Himmelspforten öffnen sich. Die Erlösung scheint nah. `In Search Of Infinity`: Gilgamesch ist nach dem Tod Enkidus verzweifelt und sucht auf Wanderschaft nach dem Geheimnis des Lebens, nach der Unsterblichkeit. Jan Eichelbaum durchlebt die schiere Verzweiflung. Mit jedem Schritt steigt sodann die Hoffnung. Die Himmelspforten scheinen sich Stück für Stück zu öffnen. Wenn der Gesang überirdisch wird, die Melodien psychotisch jauchzen und jeder Wanderer der Umgebung auf Knien sitzend die Arme gen Himmel reckt, scheint es vollbracht. `The Plant Of Life`: Gilgamesch findet die Pflanze des Lebens, bekommt sie aber in einem unbedachten Moment gestohlen. Im textlich heroischsten Moment, als Gilgamesch sich im Triumphe euphorisch suhlt, singt Eichelbaum theatralischer als je zuvor. Vorbildlich für unzählige seiner Artgenossen. Unbeschreiblich. `Closing Circles`: Betrübt von der sinnlosen Suche, von all den Träumen, begibt sich Gilgamesch auf den Heimweg, um fortan große Taten und Werke zu vollführen, die seinen Namen unsterblich machen sollten. Ganz spartanisch und akustisch ausklingend, scheint die durchdringende Sonne auf den Gesang. Gloria. Gloria. Die Doomwalzen schwingen zum letzten Mal erhaben aus.

Die Abgründe des Doom mögen in diesen Zeiten zwar andere Gruppen durchqueren, gar tief am Höllenfeuer, doch die Glanzlichter werden hier gesetzt. Himmelspforten-öffnende-Weisen stimmen gegenwärtig nur SPIRIT DESCENT unvergleichlich und unnachahmlich an. Ein Manifest.

(9 Punkte)

 

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