Micks Mush-RoomPlattenkritikenPressfrisch

FURYON – Gravitas

2012 (Frontiers Records) – Stil: Melodic Rock/Metal


Hey, Ihr Deutschen seid aber auch immer sehr genau! Kaum schlägt die Turmuhr sacht, wird am Abend ein kleines Pils gleich aufgemacht. Kaum steht der 1. Januar 2013 vor der Tür, sind die Wahlurnen schon verpackt und all die Wahllokale schon geschlossen! Die Wahlurnen für diese ganzen Jahreslisten, für all die Best-of-2012-Listen, für all die Album-des-Jahres-Polls und so. Dabei bin ich doch gerade noch mitten im Stäbchen-ins-heiße-Fett-stecken-Spiel und habe noch nicht einmal alle 2011er Alben verdaut. Ein Pilz dazu oder ein Pils dazu, denn mit Pilzen kenne ich mich ja aus, wie Ihr wohl wisst. Habt ihr Euch jetzt mal bei dem Spiel, bei dem ich grad bin, in den Finger gepikst? Da kommt doch Freude auf. Echte Gefühle kann man dabei erleben. Echte Tränen, oder nicht? Vielleicht gibt es ja auch Gefühle beim Schütteln und Rühren in den Wahlurnen. Um Selbstversuche und Einkäufe soll es heute nicht gehen, heute wollen wir uns ganz der Musik widmen. Echt! Hier kommt nämlich noch schnell ein Kandidat für Eure Best-of-2012-Liste, falls Ihr die noch nicht abgegeben habt. Holt sie lieber schnell zurück. Zwar wurde das Album schon im Jahre 2011 von der Band in Eigenregie veröffentlicht, aber dann doch erst der breiten Masse in 2012 vom legendären Italo-Melodic-Label Frontiers zugänglich gemacht. Da freut sich der trübe Pilzsammler, denn hier kommt nicht der übliche Kram nach dem Motto: Kommt, wir stellen mal ein cooles Projekt zusammen, holen uns dazu ein paar Scandi-Songschreiber, die bekommen das auch sonst schön flockig hin und backen uns mit einem Italo-Bass/Drum-Gespann eine Band zusammen. Nein, hier kommt eine echte Band aus dem UK, dem noch königlichen Vereinigten Reich von Großbritannien. Am Gesang ist mit Matt Mitchell ein wahrer Ausnahmesänger der Marke Ron Taylor (LILLIAN AXE) meets Paul Shortino (QUIET RIOT), der zusammen mit den beiden Ausnahmegitarristen Chris Green und Pat Heath, dem Bassisten Alex ‚Nickel‘ Bowen und dem Drummer Lee Farmery die noch unbekannte Band FURYON bildet. Und die Jungs schlingeln sich mit ihrem Erstling noch fix am letzten Modern-Melodic-Rock-Metal Highlight der Norweger SLAVES TO FASHION vorbei. Der beste modern gespielte Melodic-Rock/Metal der letzten Jahre. Vergesst beispielsweise all die Versuche von EUROPE, modernen Rock zu spielen. Mehr als ein paar große Lieder waren auf keinem Album mehr zu finden, deshalb spielen die jetzt auch lieber bluesigen Hard-Rock. Wer modernen Rock spielen will, sollte es dann doch lieber den jungen Gruppen überlassen. Schuster, bleib bei deinen Leisten, heißt doch so ein altes Sprichwort, das ich mal in der Hauptbahnhof-Kantine gehört habe. Aber bei FURYON hörst du nur die ersten Lieder und fragst dich bei all den Hooks und Songwendungen, wieso denn das all die tollen Ami-Bands, die neuzeitlich einen etwas düsteren Sound pflegen und dabei doch die Melodie nicht vergessen, niemals hinbekommen haben. Die Jungs von FURYON haben sich zwar auch in den USA in Stone Mountain (Georgia) vom Produzenten Rick Beato verarzten lassen, aber sie haben die großen Melodien dabei nie vergessen. Hier gibt es Songaufbauten, die schon fast progressiv zu nennen sind, doch trotzdem bleibt jeder Song auf seinem Pfad und dieser führt zuhauf zu großen Hooks. Nach den ersten fünf Liedern des Albums `Gravitas` habe ich mir beim Stäbchen-ins-heiße-Fett-stecken-Spiel schon viermal vor Freude in den Finger gepikst. Meine Tischnachbarn haben bei jedem Hook nur so vor Begeisterung und Freude die Hände in die Luft gereckt. Und diese Begeisterung lassen FURYON nicht erst bei den Refrains aufkommen, nein, hier ist oft schon die Bridge besser als das, was andere Kapellen als Chorus an den Mann bringen wollen. Und bei meinen Kumpels waren noch keine Gemütsverbesserer im Spiel. Doch so gut kann es doch nicht weiter gehen, sagt mein schändlicher Tischnachbar, als er kurz seinen üblichen Sermon unterbricht und der nächste Song dabei anbricht. Ja, die Sorge ist immer groß, dass ein Album zum Ende hin eher abflacht und nicht mehr das Niveau halten kann, aber FURYON drehen mit den letzten drei Songs nochmal so sehr auf, dass sogar bis zum letzten Lied nur ein überragender Song auf den Nächsten folgt. Ein unfassbares Niveau für ein Band-Debüt. Zu meiner kompletten Überraschung belehrt mich plötzlich der unwissendste aller meiner Kumpels am Tisch, so einer der Marke „Ich-hör-nur-Immodium-Todes-Schlächter-Zeug“, dass es sich bei dem Sänger Matt Mitchell und dem Wahnsinnsgitarristen Chris Green, die auch zusammen fast das komplette Songmaterial geschrieben haben, um dieselben zwei Jungs handelt, die auch schon Anfang des Jahrtausends zwei tolle Melodic-Rock-Alben (`Signs Of Purity` und `Far From The Edge`) unter dem Gruppen-Banner PRIDE veröffentlicht haben. Da erzählt mir ein Anderer, er aber eher der Typ „Melodic-Specialist“, dass Chris Green zwischenzeitlich sogar mit dem FIREHOUSE Sänger eine EP unter dem Namen RUBICON CROSS veröffentlicht hat. Nun bin ich sprachlos. Das war ich das letzte Mal, als mir der Typ vom Bahnhofs-Clo ein vollkommen unnützes und inessentielles ACCEPT Live-Bootleg aus dem Jahre 2011 andrehen wollte. That´s Life. Und auf den vielfachen Wunsch eines Einzelnen führe ich hier auch noch die prägnantesten Anspieltipps auf, also alle Lieder. Nein, ein kleiner Scherz. Aber hört Euch einfach all die Hits wie `Disappear Again` („I discovered if I get out alive you know that I could deny you and disappear again in time, even if you get the feeling that I could be here to rely on I disappear again in time”), `Don’t Follow`, `Wasted On You`, `Our Peace Someday`, `Desert Suicide` und die epischeren Kracher wie `New Way Of Living` (“Focus on a new way of living, I’d like to know, the place you hide, give me a reason, to believe I can stay, after all I only come to find, you keep me walking, walking away”) und `Souvenirs` an. Vergesst jetzt mal langsam irgendwelche Skandinavier! Vergesst es, immer wieder und wieder auf denselben Tanzflächen und in all den Parkhäusern immer und immer wieder dieselben Lieder zu hören! Hier sind genau zehn gute Lieder! Hier findet Ihr sie. Hier sind die neuen Tanzflächen-Feger. Hier gibt es Grooves, da wirbelst du auch ohne Pils über die Tanzfläche. `Gravitas` ist ein neuer Melodic-Klassiker. Aber aus dem Hier und Jetzt. Nicht von 1985! Nicht von 1992! Eure Best-of-2012-Listen sind ohne FURYON unvollständig.

(10 Punkte)